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Kirchliches Arbeitsrecht: selbstbestimmt anders

Gemeinsam stark: Dr. Jörg Kruttschnitt, Jörg Kamps und Thomas Sopp gestalten die Zukunft des kirchlichen Arbeitsrechts mit. Foto: Diakonie/Hermann Bredehorst;

Sinnhafte Beschäftigung und gute Arbeitsbedingungen: Dennoch ist es in Zeiten demografischen Wandels auch für die Diakonie schwer, Mitarbeitende zu gewinnen. Also Zeit, über das Thema Arbeit zu sprechen – mit Jörg Kamps und Thomas Sopp, die Dienstnehmer:innen und Dienstgeber:innen in der Arbeitsrechtlichen Kommission der Diakonie Deutschland vertreten, und mit Dr. Jörg Kruttschnitt, dem zuständigen Vorstand im Evangelischen Werk für Diakonie und Entwicklung.

Zum Interview

Der folgende Text erschien zunächst am 27. November 2023 im Jahresbericht 2022/2023 (PDF) der Diakonie Deutschland (S. 54 bis 59). Das Interview führte Verena Götze, Stellvertretende Pressesprecherin Diakonie Deutschland. Die Form des Genderns wurde aus dem Originaltext übernommen.

Jörg Kamps, Vorsitzender der Arbeitsrechtlichen Kommission der Diakonie Deutschland und Vertreter für die Dienstnehmer:innen. Foto: Diakonie/Hermann Bredehorst

Dr. Jörg Kruttschnitt, Vorstand Finanzen, Personal, Recht im Evangelischen Werk für Diakonie und Entwicklung. Foto: Diakonie/Hermann Bredehorst

Thomas Sopp, Vorsitzender des Fachausschusses der Arbeitsrechtlichen Kommission der Diakonie Deutschland für die Dienstgeber:innen. Foto: Diakonie/Hermann Bredehorst

Andrea Nahles, die Chefin der Bundesagentur für Arbeit, weist darauf hin, dass der Arbeitsmarkt im Zuge der demografischen Entwicklung immer weniger von den Arbeitgeber:innen und immer stärker von den Arbeitnehmer:innen bestimmt wird. Welche Chancen bietet das für die Beschäftigten in der Diakonie?

Jörg Kamps: Für die einzelnen Beschäftigen gibt es aktuell mehr Wahlmöglichkeiten. Durch die vielen freien Stellen können die Mitarbeitenden leichter den Job oder den Arbeitsort wechseln. Ich nehme wahr, dass die Kolleg:innen immer stärker darauf achten, dass ihr Arbeitsplatz auch ihren privaten und familiären Bedürfnissen entspricht. Das heißt zum Beispiel für ältere Kolleg:innen: Habe ich die Möglichkeit, meinen Übergang in den Ruhestand zu gestalten? Stimmt die Work-Life-Balance? Viele junge Kolleg:innen achten darauf, wie es um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie steht. Das rückt bei der Arbeitsplatzwahl immer stärker in den Fokus. Ich glaube, dass die Entlohnung nicht mehr der entscheidende Faktor bei der Berufswahl ist, auch wenn wir da sehr attraktiv unterwegs sind. Als Arbeitnehmervertretung sehen wir es als unsere Aufgabe, auf verbindliche Regelungen zu drängen, etwa zum mobilen Arbeiten. Der Druck in den Arbeitsrechtlichen Kommissionen steigt, sich auch dieser Themen anzunehmen. Wir brauchen neue Lösungsansätze und müssen kreativer werden.

Der Fachkräftemangel bedroht viele Arbeitsbereiche auch bei der Diakonie. Immer wieder müssen Einrichtungen schließen, weil vor Ort das Personal fehlt. Was können diakonische Unternehmen tun, um dem entgegenzuwirken?

Thomas Sopp: Ein gutes Gehalt ist notwendig, aber nicht hinreichend. Arbeitnehmer:innen prüfen heutzutage ganz genau: Passen Arbeitgeber:in, Arbeitsbedingungen und Team zu mir? Und auch: Passt das Führungsverständnis zu mir und gibt es Entwicklungsmöglichkeiten bei dieser Stelle? Hier gibt es gute Ansätze. Ein Beispiel: Bisher war es üblich, dass in stationären Einrichtungen morgens um acht Uhr gefrühstückt wurde. Die Patient:innen mussten bis dahin gewaschen und angezogen sein. In diesem engen Zeitfenster braucht man sehr viele Mitarbeitende. Pflegekräfte mit kleinen Kindern schaffen das aber oft gar nicht, weil der Schulbus erst später fährt oder die Kita morgens noch nicht geöffnet hat. Wenn Einrichtungen ihre Mitarbeitenden mit kleinen Kindern nicht verlieren möchten, müssen sie sich jetzt anpassen. Ein starres Konzept wie »Um acht Uhr müssen alle frühstücken« funktioniert nicht mehr. Das ist aber nichts Schlechtes. Einige Patient:innen möchten nämlich gar nicht um sechs Uhr geweckt werden. Das Beispiel zeigt: Flexibilität ist in der Praxis oft eine Win-win-Situation. Wir müssen den Einrichtungen die Möglichkeit geben, ihre Arbeitsorganisation auf die Bedürfnisse vor Ort anzupassen. Dafür müssen wir manchmal alte Zöpfe abschneiden. Der Tarif stellt den Rahmen zur Verfügung, das echte Leben findet in den Einrichtungen statt.

Was kann die Diakonie als Institution leisten, um als Arbeitgeberin auch in Zukunft attraktiv zu bleiben?

Jörg Kruttschnitt: Die Diakonie Deutschland als Bundesverband schafft zunächst einmal Räume, um die drängenden Fragen der Zukunft zu diskutieren. Aber Diakonie muss auch nach außen wirken. Sie muss deutlich machen: »Wir sind eine starke Marke, die für Sinnhaftes steht.« Das schaffen wir zum Beispiel durch unsere politische Lobbyarbeit für soziale Berufe und den Ausbau unserer Infrastruktur, wie das Diakonie-Karriereportal. Wichtig ist auch, dass wir Profilierung, Diversität und Beteiligung fördern, zum Beispiel durch unsere Verbandsempfehlung für Gleichstellung. Und wir machen unsere Marke auch öffentlich sichtbar, zum Beispiel durch unsere Jubiläumskampagne #ausLiebe.

Die Bundespolitik hat das kirchliche Arbeitsrecht auf ihre Tagesordnung gesetzt. Im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP steht: »Gemeinsam mit den Kirchen prüfen wir, inwiefern das kirchliche Arbeitsrecht dem staatlichen Arbeitsrecht angeglichen werden kann.« Dazu wurde vom Bundesarbeitsministerium ein Dialogprozess eingeleitet. Was bedeutet für die Diakonie Angleichung? Und gibt es Themen, bei denen sich nach Ihrer Auffassung die Angleichung verbietet?

Jörg Kruttschnitt: Es darf keine Angleichung nach unten geben!

Jörg Kamps: Das sehe ich genauso. Schon die Formulierung im Koalitionsvertrag finde ich problematisch. Sie suggeriert, dass das staatliche Arbeitsrecht dem kirchlichen Arbeitsrecht etwas voraushat und sich das kirchliche Arbeitsrecht dem vermeintlich besseren staatlichen Arbeitsrecht anpassen muss. Das finde ich schwierig. Für mich bedeutet »angleichen«: »Prüft alles und behaltet das Gute«, da bin ich beim Apostel Paulus. Hier geht es um Fragen unseres Selbstverständnisses. Diese Fragen können nur wir selbst als Kirche und Diakonie beantworten. Und wir müssen um unser Recht auf Selbstverständnis kämpfen.

Thomas Sopp: An dieser Stelle braucht es eine klare protestantische Position, auch wenn ich es häufig richtig finde, dass wir als Kirche und Diakonie demütig unterwegs sind. Es kann aber nicht sein, dass das Selbstverständnis der Kirche von außen beschrieben wird. Dass einem andere sagen, was man ist, das halte ich für Diskriminierung. Wir müssen mit Verschiedenheit umgehen können, wenn wir in dieser Gesellschaft vielfältig unterwegs sein wollen, und das gehört für mich zur Demokratie dazu. Das erwarte ich auch vom Verhältnis des Staates zur Kirche. Es verbietet sich als Angleichung, Arbeitskampf statt Schlichtung durchzusetzen. Es verbietet sich, das Mitarbeitervertretungsgesetz zu beschränken.

Und ich glaube, dass man uns nicht verbieten darf, dass wir bei Bewerbungsgesprächen auch über die christliche Prägung der Arbeit und das persönliche Verhältnis dazu sprechen dürfen. Wir müssen darauf aufpassen, dass wir weiterhin selbstbestimmt anders sein dürfen.

Jörg Kruttschnitt: Angleichen enthält etwas von vergleichen. Und da haben wir viel Gutes zu bieten. Zum Beispiel Arbeitsbedingungen: Wir liegen mit unseren tariflichen Einkommen regelmäßig unter den ersten 20 Prozent der Mitbewerber:innen. Wir bieten betriebliche Rente, Familienzuschlag und Jahressonderzahlung. Wir bieten Unternehmensmitbestimmung: Bei uns werden bis auf ganz wenige Ausnahmen alle Mitarbeitenden von einer Mitarbeitervertretung vertreten. Im weltlichen Bereich sind es nur rund 43 Prozent. Und wir bieten Tarifbindung: Die ist bei uns nahezu flächendeckend, während in Deutschland insgesamt nur 41 Prozent der Beschäftigten nach Tarif bezahlt werden. Das sind alles Fakten, die Kritiker:innen des kirchlichen Arbeitsrechts gern unterschlagen.

Kirchliches Arbeitsrecht ist stets im Wandel. Welche wesentlichen Veränderungen haben Evangelische Kirche und Diakonie derzeit eingeleitet?

Jörg Kruttschnitt: Unsere neu verfasste Mitarbeitsrichtlinie tritt diesen Herbst in Kraft. Hier haben wir eine deutliche Veränderung: Die Kirchenzugehörigkeit wird dann nur noch für Stellen vorgeschrieben sein, wo es um Verkündigung, Seelsorge, Bildung und Profilbildung geht. Für alle anderen Stellen ist die Mitgliedschaft zu einer Kirche keine Voraussetzung mehr. Damit reagieren wir auf den gesellschaftlichen Wandel: In einer immer diverseren Gesellschaft wollen sich die Evangelische Kirche und ihre Diakonie stärker zugunsten der Mitarbeit von Menschen öffnen, die andersgläubig oder nichtgläubig sind. Gleichzeitig wollen wir sicherstellen, dass unser besonderes evangelisches Profil erhalten bleibt. Da, wo Diakonie draufsteht, soll auch Diakonie drin sein. Mit der neuen Mitarbeitsrichtlinie haben wir dafür gute Lösungen gefunden.

Die Jahre 2022 und 2023 waren ein Wechselbad: Auf die Belastungen von Corona folgten Krieg in Europa und eine hohe Inflation. Wie konnte der Verband da reagieren?

Jörg Kruttschnitt: Die vergangenen zwei Jahre waren ganz besonders schwierig, aber wir haben uns den Herausforderungen in einer guten Weise gestellt. Wir haben Methoden gefunden, um innerverbandlich auf Veränderungen zu reagieren und sind resilienter geworden.

Was bedeutet das für die Mitarbeitenden?

Jörg Kamps: Wir spüren eine Entlastung durch den Wegfall der Corona-Schutzmaßnahmen. Insgesamt stöhnt aber auch die Arbeitnehmer:innenschaft der Diakonie über die hohe Inflation und den damit verbundenen Reallohnverlust. Es hat aber viele gute Tariflohnentwicklungen gegeben, und wo das noch nicht so ist, arbeiten wir daran.

Wie konnten die Arbeitgeber:innen die teilweise starken Gehaltssteigerungen verkraften?

Thomas Sopp: Das lässt sich pauschal nicht sagen, hier kommen verschiedene länderspezifische Rahmenbedingungen und Refinanzierungsmodelle zusammen – da sind wir föderal geprägt. Einige Träger können es gut verkraften, andere kaum. Die wirtschaftliche Situation schlägt sich in unterschiedlichen Regionen und Arbeitsfeldern sehr unterschiedlich nieder. Eins ist in den vergangenen zwei Jahren deutlich geworden: Die demografische Entwicklung nimmt Fahrt auf. Selbst wenn wir den Pflegekräften das Doppelte zahlen würden, hätten wir nicht doppelt so viele Pflegekräfte. Hier sind diakonische Unternehmen in ihrer Substanz gefährdet. Dazu kommen die massiven Kürzungen im neuen Haushaltsentwurf. Der Staat muss sich gut überlegen, wie es mit dem Sozialstaat weitergehen soll. Hier werden jetzt die Weichen gestellt.

Wenn Bekannte Sie fragen, warum sollte ich mich bei der Diakonie bewerben, was sagen Sie?

Jörg Kamps: Nach 30 Jahren in diakonischen Diensten kann ich sagen: Es geht darum, Menschen Hilfe zu leisten. Das wird in der Diakonie gelebt und das zu fairen Konditionen.

Thomas Sopp: Ich sage denen: Nichts wie hin und dann an die richtige Stelle, die zu dir passt, zu deinen Vorstellungen von Engagement und Beteiligung und zu deiner beruflichen Identität.

Jörg Kruttschnitt: Und ich sage ihnen: In der Diakonie kann man Teil werden einer großen Gruppe von Leuten, die kompromisslos daran arbeiten, wie es Menschen besser gehen kann. Auch mit gelegentlich verrückten Ideen. Und: Es wird nie langweilig.


Interview: Verena Götze

Fotos: Diakonie/Hermann Bredehorst

Der Interview erschien zunächst am 27. November 2023 im Jahresbericht 2022/2023 (PDF) der Diakonie Deutschland (S. 54 bis 59).

 

 

 

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