Wohnungslosenhilfe: Diakonische Unternehmen fordern mehr Wohnungsbau

Klaus W. schätzt die Arbeit der Tee- und Wärmestube in Berlin-Neukölln

Der zunehmende Wohnraummangel führt zu einer verstärkten Nachfrage diakonischer Hilfsangebote in der Wohnungslosenhilfe. Gleichzeitig stoßen Träger aufgrund des Arbeitskräftemangels an ihre Grenzen. Das zeigen Gespräche des Verbandes diakonischer Dienstgeber in Deutschland mit Mitgliedsunternehmen in verschiedenen Regionen anlässlich des Tags der Wohnungslosenhilfe am 11. September.

Die Wohnungslosenhilfe sei das letzte Netz, in das ein Mensch fallen könne, berichtet die zuständige Bereichsleiterin der regionalen Diakonie Darmstadt-Dieburg, Nicole Frölich. „Danach gibt es nur noch Krankenhaus, Knast oder Friedhof.“ Sie stelle fest, dass die Notunterkünfte der Diakonie inzwischen fast permanent voll belegt seien. Ein Grund sei auch, dass kleinere Kommunen wohnungslose Menschen in größere Städte schicken, anstatt selbst ihrer Pflicht nachzukommen und ein Obdach zu vermitteln. Zudem fehle es an flächendeckenden Fachstellen für die Wohnungssicherung, um zu vermeiden, dass Einzelpersonen oder Familien mit Kindern obdachlos werden.

Diskriminierung bei Wohnungsvergabe

Auch die Diakonie Michaelshoven, die sich in Köln und der weiteren Umgebung um wohnungslose Menschen kümmert, stellt einen steigenden Bedarf fest: „Die Nachfrage nach bezahlbarem Wohnraum übersteigt das Angebot“, berichtet der Leiter der Wohnungslosenhilfe im Oberbergischen Kreis, Wilfried Fenner. Die Mietgrenzen sollten daher erhöht werden, um die Chancen auf dem Wohnungsmarkt zu verbessern. Aber auch dann sei es mitunter schwer, wohnungslosen Menschen eine dauerhafte Bleibe zu vermitteln, weil sie häufig bei der Wohnungsvergabe diskriminiert würden. Derzeit betreue sein Team etwa 215 wohnungslose Personen. Zudem begleite es pro Jahr mehr als 200 Fälle, in denen Personen mit einer Räumungsklage oder fristlosen Kündigung ihrer Wohnung konfrontiert seien.

Auch Kirche und Diakonie sollten mehr bauen

Der Armutsbeauftragte der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, Thomas de Vachroi, appelliert an Kirche und Diakonie, sich selbst aktiver in den Wohnungsbau mit einzubringen und dabei auch die Bedürfnisse wohnungsloser Personen in den Blick zu nehmen. „Bei vielen Obdachlosen scheitert die Aufnahme in einer Notunterkunft am Thema Tierhaltung. Der Hund als Sozialpartner ist für viele Betroffene jedoch sehr wichtig.“ De Vachroi leitet seit 2011 das Haus Britz, eine barrierefreie Wohnanlage des Diakoniewerkes. In dieser Funktion unterstützt er auch die Tee- und Wärmestube Berlin-Neukölln und engagiert sich besonders für Obdach- und Wohnungslose. Dort plane man nun die Erweiterung um Ein-Zimmer-Apartments, in denen dann auch Tierhaltung erlaubt sei. Laut dem Armutsbeauftragten müssten auch Bauordnungen angepasst werden, um preiswerter Bauen zu können. Die Kreditvergabe an soziale Träger solle zudem vereinfacht werden.

Eigentlich müsste keiner auf der Straße schlafen

Besser stellt sich die Situation ausgerechnet in der teuersten Wohnstadt Deutschlands dar: „Es gibt ein sehr ausdifferenziertes Wohnungslosenhilfesystem. In diesem Jahr wurde zum Beispiel der neue Übernachtungsschutz mit 730 Bettplätzen eröffnet“, berichtet die Vorstandssprecherin der Diakonie München und Oberbayern, Andrea Betz. Im Grunde müsse niemand auf der Straße schlafen. Dass dies dennoch geschieht, könne beispielsweise an psychischen Erkrankungen liegen, die obdachlosen Menschen den Aufenthalt in einer Notunterkunft erschweren. Umso wichtiger seien daher Streetwork- und adäquate Therapieangebote. Bei letzterem gebe es noch „Luft nach oben“. „Wir müssen aber auch aushalten, dass es Menschen gibt, die aus unterschiedlichen Gründen lieber auf der Straße leben. Wir versuchen, sie so gut es geht über die Angebote zu informieren und in ihrer Situation zu begleiten.“ Die Diakonie in München sei zudem eine wichtige Anlaufstelle für Personen, die aus einem anderen EU-Land nach Deutschland kommen, um hier ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Da sie häufig keinen Anspruch auf Sozialleistungen haben, würden sie oft Gefahr laufen, in der Wohnungslosigkeit zu landen.

Notunterkünfte teils in desolatem Zustand

Auch der Geschäftsführer des Evangelischen Bundesfachverbands Existenzsicherung und Teilhabe e. V., Lars Schäfer, sieht noch viele Hürden, um die Wohnungslosigkeit bis 2030 wie im Nationalen Aktionsplan vorgesehen spürbar zu reduzieren oder gar vollends zu beseitigen. Insbesondere fehle es am Zugang zu eigenem Wohnraum für wohnungslose Menschen. Auch ein verbesserter Schutz vor Wohnungsverlust sei zentral bei der Überwindung von Wohnungslosigkeit, so Schäfer. Zudem brauche es endlich einheitliche Mindeststandards für Notunterkünfte, damit mehr Menschen bereit seien, diese aufzusuchen. „Manche Unterkünfte sind in einem desolaten Zustand, so dass die Menschen den Aufenthalt auf der Straße bevorzugen.“ Auch der Fachkräftemangel in der Wohnungsnotfallhilfe sei ein zunehmendes Problem. „Wohnungslosigkeit wird in den sozialen Studiengängen zu wenig thematisiert. Zudem ist es für viele ein herausforderndes Arbeitsfeld, bei dem man auf Personen mit multiplen Problemlagen trifft.“

Nach offiziellen Zahlen des Statistischen Bundesamtes waren zum Stichtag 31. Januar 493.500 Menschen entweder durch die Kommunen oder freien Träger der Wohnungsnotfallhilfe untergebracht. Der Zuwachs von 18 Prozent gegenüber dem Vorjahr liegt auch an einer verbesserten Datenerfassung. Hinzu kommen obdachlose Personen sowie Menschen, die bei Angehörigen oder Freunden untergekommen sind.