Einen Beleg für die Innovationsfähigkeit diakonischer Unternehmen liefern Karsten Stüber von der Diako Thüringen gGmbH und Prof. Dr. Margit Christiansen im Interview zum Digitalisierungsprojekt "SITA" in der stationären Altenhilfe.
Demographischer Wandel, Digitalisierung, die Suche nach Fachkräften. Diakonische Unternehmen müssen sich den Herausforderungen der Zeit stellen. Wie sieht Ihr Lösungsweg bei der DIAKO Thüringen aus?Karsten Stüber: Oft läuft strategische Unternehmensplanung auf einer abstrakten Ebene ab. Als mittelgroßes Gesundheits- und Sozialunternehmen müssen wir Antworten entwickeln, die auf Basis unserer christlich geprägten Unternehmensidentität Arbeitsplätze sowie unsere wichtigen sozialen Betreuungsangebote in der Region sichern. Mit unserem Projekt SITA wollen wir praktische Themen insbesondere in der stationären Altenhilfe anpacken und innovative, digitale Konzepte zur Dienstplanthematik gemeinsam mit unseren Mitarbeitenden entwickeln.Was genau verbirgt sich hinter „ SITA“?Karsten Stüber: Wir haben uns als Unternehmen verpflichtet, Ergebnisse zu liefern, und wollen, dass diese auf wissenschaftlichem Know-how fußen. Die Zusammenarbeit mit der Hochschule Fulda im Projekt bedeutet für uns eine wertvolle, evidenzbasierte Stütze und mit SITA - „Schichtdienstmodell und IT-gestützte Dienstplanung in der stationären Altenhilfe“ verbinden wir diese zentralen Anliegen. Wir rücken die Stimmen unserer Mitarbeitenden in den Vordergrund und fragen sie, was geändert werden muss. Ziel ist es, die Situation in unseren Altenpflegeeinrichtungen detailliert zu analysieren und daraus praktische, digitale Lösungen für eine verlässlichere Dienstplangestaltung zu entwickeln.Margit Christiansen: Im Rahmen des Projekts werden Onlinebefragungen vor und nach Einführung eines IT-basierten Dienst-planungsprogramms durchgeführt. Ergänzt wird die Erhebung durch Interviews und Auswertungen der betrieblichen Daten im ausgewählten Pilotbetrieb in Creuzburg. In den Befragungen werden die Meinungen und Wünsche der Mitarbeitenden zur Dienstplan-gestaltung erfasst. Zudem werden die Em-pfindungen hinsichtlich der Verständlich-, Handhabbar- und Sinnhaftigkeit der Dienstplanung erfragt. Diese drei Dimensionen ergeben nach dem Salutogenese-Modell von Antonovsky zusammen ein Gefühl der Zugehörigkeit und Zufriedenheit (Kohärenzgefühl), welches Beschäftigten helfen kann, auch in stressigen Situationen gesund zu bleiben.
Karsten Stüber: Der studierte Pflegemanager ist seit 2010 Prokurist der Altenhilfegesellschaften in der Diako Thüringen mit einer Personalverantwortung von ca. 1400 Mitarbeitenden mit 1100 stationären Pflegeheimplätzen und ambulanten Versorgungsstrukturen. Zuvor war der gelernte Krankenpfleger im Krankenhaus Eisenach tätig.
Sie planen das Pilotprojekt im Frühjahr 2019 abzuschließen. Was sind erste Ergebnisse?Margit Christiansen: Aus Sicht der Mitarbeitenden hat die Vereinbarkeit des Privatlebens mit den Dienst-zeiten hohe Priorität. Folglich werden viele Spät- und Wochenenddienste als belastend wahrgenommen. Außerdem wird die Planbar-keit der Freizeit durch häufiges „Einspringen“ negativ beeinflusst. Das zeigt sich auch bei der Auswertung der Empfindungen gegenüber der Dienstplanung. Allerdings wird die Sinnhaftig-keit der Arbeit als sehr hoch eingeschätzt.Karsten Stüber: Ein erstes praktisches Ergebnis ist die Einführung einer „Einspringprämie“ als Anreiz für Mitarbeitende, die bereit sind, vakant ge-wordene Dienste zu übernehmen. Wir haben auf Wunsch der Mitarbeitenden auch die Wochenenddienstzeiten verlängert, sodass diese von 6 auf 12 Stunden erhöht wurden. Insgesamt haben sich so die zu leistenden Wochenenddienste reduziert. Selbstverständlich haben wir alle Ideen immer eng mit der Mitarbeitervertretung vor Ort abgestimmt.Und wie kommt bei SITA hier nun das Thema Digitalisierung in der Pflege mit ins Spiel?Karsten Stüber: Für die Dienstplangestaltung haben wir eine App der Firma App GeoCon / VeraPEP eingeführt, in der die Mitarbeitenden ihre individuellen Einsatzwünsche digital hinterlegen können. Auch können bei Bedarf mit den Kollegen Schichten getauscht werden. Die App entlastet die Führungskräfte, denn sie übernimmt den bürokratischen Vorgang der Freigabe von Tauschanfragen und die Dienst-plangestaltung an sich. Die Bereitschaft, etwas Neues zu probieren, ist in der Belegschaft sehr groß. Zwei Mitarbeiter hatten zunächst gar kein eigenes Smartphone. Neben einem fest installierten Tabloid auf Station, haben wir diesen Mitarbeitenden im Projekt auch Smart-phones zur Nutzung von unterwegs zur Verfügung gestellt.
Prof. Dr. Margit Christiansen:Als promovierte Wirtschaftswissenschaftlerin mit langjähriger Berufserfahrung in der Krankenpflege und dem Krankenhaus-controlling ist sie seit 2016 Professorin für Management im Gesundheitswesen mit Schwerpunkt Personal an der Hochschule Fulda. Zuvor war sie mehrere Jahre als Professorin an der Leibniz FH in Hannover und der DRK Fachhochschule in Göttingen tätig.
Was war Ihr persönlicher Aha-Moment?Margit Christiansen: Es gibt nicht das „richtige Dienstplanmodell“, sondern vielmehr ist die Berücksichtigung der individuellen Bedürfnisse der Schlüssel zum Erfolg. Ich denke, dass wir im Zuge der Digitalisierung neue Chancen haben, die Bedürfnisse der Einzelnen zusammen-zuführen. Zudem wird der Planungsaufwand für die Verantwortlichen nicht steigen, son-dern es wird zu einer Entlastung kommen.Karsten Stüber: Wir sehen erste positive Effekte für die Personalgewinnung. Mit unserem innovativen Ansatz gehen wir auf die individuellen Bedarfe der Mitarbeitenden ein und stärken so unseren „Employer Brand“ als soziales Unternehmen, welches die Vereinbarkeit von Familie und Beruf stärkt. Insbesondere jüngere Fachkräfte, die von dem neuen System erfahren, sind neugierig auf das Arbeiten bei uns. Zudem sind auch die Krankenstände gesunken.
Wo sehen Sie Mehrwerte im Projekt für andere Unternehmen aber auch auf einer höheren Ebene für die Gesellschaft?Margit Christiansen: Wenn wir es schaffen, die Bedingungen zur Dienstplanung so zu gestalten, dass die Mitarbeitenden ein gutes Gefühl der Zugehörigkeit und Zufriedenheit entwickeln, dann haben wir die Grundlage für eine bessere Gesundheit für alle geschaffen. Denn die krankheitsbedingten Ausfallzeiten der Pflegekräfte würden weiter sinken. Außerdem kann sich die Zufriedenheit positiv auf die Attraktivität des Berufes auswirken. Die Pilotphase endet im Februar 2019 – was steht dann an?Karsten Stüber: Die Weiterentwicklung der Pflege im digitalen Zeitalter ist auch nach Projektende weiter erklärtes Ziel der Diako Thüringen gGmbH. Für die Zukunft sollen die im Projekt gewonnenen Erkenntnisse und Erfahrungen beim Einsatz von Software, im Hinblick auf Datenschutz usw. aus der Piloteinrichtung in weitere Einrichtungen unserer Unternehmensgruppe getragen werden. Zudem wollen wir den unternehmerischen Geist unserer Mitarbeit-enden, etwas Neues zu probieren, weiter fördern. Darüber hinaus hat die Geschäftsführung sich dafür entschieden ab 2019 einen Prokuristen für das Thema Digitalisierung einzusetzen, der das Thema über alle Branchen und Arbeitsfelder bearbeitet.
Weitere Informationen zum Unternehmen und zur Hochschule finden hier unter
https://www.diako-thueringen.de/https://www.hs-fulda.de/