16.05.2024
Prof. Timo Meynhardt Foto: VdDD
Für eine Abkehr von der starren Unterscheidung zwischen bezahlter und unbezahlter Arbeit hat sich der Wirtschaftspsychologe Prof. Dr. Timo Meynhardt (Leipzig) ausgesprochen. Der Klimawandel, die Digitalisierung aber auch die demografische Entwicklung forderten die Gesellschaft zum Umdenken heraus, sagte Meynhardt auf der Mitgliederversammlung des Verbandes diakonischer Dienstgeber in Deutschland (VdDD) am 15. Mai in Berlin.
Es brauche eine Renaissance des Menschenbildes „Leben als Tätigkeit“ und ein neues Verständnis der Arbeit hin zur Tätigkeitsgesellschaft – dabei könnte auch die christliche Wertevermittlung in der Familie hilfreich sein. „Ein ,Weiter so!‘ ist unrealistisch und nicht verantwortlich“, sagte der Inhaber des Dr. Arend Oetker Lehrstuhls an der Handelshochschule Leipzig.
Tätigkeiten wie die Sorgearbeit mehr anerkennen
Um das Gemeinwohl zu stärken sei es nötig, andere Tätigkeitsformen wie die Sorgearbeit und das Ehrenamt mehr anzuerkennen – was aber nicht zwangsläufig durch finanzielle Gegenleistungen erfolgen müsse. Unternehmen könnten beispielsweise auch in Arbeitszeugnissen nicht nur die Aspekte der Erwerbs- sondern auch der Sorgearbeit und des Ehrenamts betonen. Eine andere Idee seien flexiblere Arbeitsverträge, die auch Freiraum geben sich für das Gemeinwohl zu engagieren. Zudem sollten auch längere Lebensarbeitszeiten, Optionszeitenmodelle und insgesamt eine lebensverlaufsorientierte Arbeitszeitgestaltung ermöglicht werden.
Anfang des Jahres hatte die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina und die Union der deutschen Akademien der Wissenschaften eine Stellungnahme zur Zukunft der Arbeit veröffentlicht, an der auch Meynhardt beteiligt war. Darin wird u. a. die Ablösung eines festgeschriebenen Rentenalters zugunsten eines Rentenfensters vorgeschlagen, innerhalb dessen die Menschen ihren Rentenbeginn frei wählen können. Zudem solle älteren Personen der Wiedereinstieg in die Erwerbsarbeit erleichtert werden.
Die Tätigkeitsgesellschaft als Vision begreifen
Meynhardt plädierte, sich nicht zuallererst auf ökonomische Aspekte zu fokussieren. „Wenn wir immer gleich auf die Rechnung schauen, kommen wir nicht aus unserer Denkfalle heraus“. Das Bild der Tätigkeitsgesellschaft sei als eine Vision zu verstehen, die einen Wertewandel erfordere – dabei könnten die diakonischen Unternehmen eine Vorreiterrolle spielen. Hinsichtlich der ungleichen Aufteilung bei der Kindererziehung und Haushaltstätigkeiten nahm Meynhardt die Männer in die Pflicht. Eine Ausweitung der Partnermonate beim Elterngeld, die Ablösung des Ehegattensplittings durch ein Realsplitting sowie eine weitestgehende Abschaffung der Minijobs könnten dabei helfen. Ebenso sollten auch Pflegezeiten durch Lohnersatzleistungen und Anerkennung bei der Rentenversicherung mehr berücksichtigt werden.
Dritter Weg ist „exportfähig“
Unter den anwesenden Mitgliedern wurden die Vorschläge teilweise kontrovers diskutiert. Es stelle sich die Frage des ökonomischen Konzepts, das die Tätigkeitsgesellschaft ermögliche. Auf die Frage, in welcher Form die Ideen der Tätigkeitsgesellschaft in der Tarifpolitik Einzug finden könnten, nannte Meynhardt den Dritten Weg des kirchlichen Arbeitsrechts. Dabei werden Tarifverträge in den Arbeitsrechtlichen Kommissionen ausgehandelt, die durch die Dienstgeber und Dienstnehmer paritätisch besetzt sind. Kommt es zu keiner Einigung gibt es ein verbindliches Schlichtungsverfahren. Diese Form der Konsensfindung sei „exportfähig“, so Meynhardt. „Tarifpolitik ist Wertepolitik und Wertepolitik ist mehr als Geld!“ Zugleich wendete er sich gegen die immer wieder aufkommende Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen. Der Mensch entwickle sich im Tätigsein – deshalb sei eine Leistung ohne Gegenleistung kontraproduktiv.
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