Der Hilfebedarf steigt, das Geld wird knapper: So lässt sich die Situation in vielen Bereichen der Hauptstadt beschreiben. Das Diakoniewerk Simeon versucht mit neuen Ansätzen der Krise zu trotzen – hat aber auch
klare Erwartungen an Politik, Kirche und Diakonie.

In keinem anderen Berliner Bezirk ist die Dichte an Menschen, die staatliche Transferleistungen beziehen, so hoch wie in Neukölln: Mehr als jeder Fünfte ist hier auf Unterstützung angewiesen – der bundesweite Durchschnittswert liegt bei 8,6 Prozent. Berlin liegt mit einem Anteil von 15,3 Prozent hinter Bremen an der Spitze (Stand 2023). Umso bedeutsamer ist die Arbeit des Diakoniewerks, dessen Aktivitätsradius sich über die Grenzen des zugehörigen Kirchenkreises erstreckt. An rund 90 Standorten in Berlin und Brandenburg arbeiten über 1.500 Mitarbeitende in den Bereichen Pflege, Familie, Kinder, Jugend, Migration, Inklusion, Wohnungsnotfallhilfe, Sucht, Armut und Stadtteilarbeit. Und auch, wenn rein personell die Pflege den größten Bereich umfasst, gibt es ein Projekt, was immer wieder verstärkte Aufmerksamkeit auf sich zieht.

80 Wohnungslose auf 130 Quadratmetern

Seit über 40 Jahren versorgt die Tee- und Wärmestube Neukölln Menschen in schwierigen Lebenssituationen auf vielfältige Weise: Neben einer warmen Mahlzeit an fünf Tagen der Woche gibt es die Möglichkeit Wäsche zu waschen, sich zu duschen oder in der Kleiderkammer saubere Kleidung zu bekommen. Ein Angebot, was es auch in vielen anderen Städten in ähnlicher Form gibt – das aber immer schwerer zu finanzieren ist. Ursprünglich war das Projekt nur für bis zu 20 Menschen am Tag konzipiert. Nun drängen sich täglich etwa 80 Personen in das 130 qm kleine ehemalige Ladenlokal.

Weniger Sozialarbeitende für mehr Menschen

Thomas de Vachroi, Armutsbeauftragter der EKBO und des Diakoniewerk Simeon, in seinem Büro
Der Armutsbeauftragte der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, Thomas de Vachroi, macht sich stark für Menschen in schwierigen Lebenssituationen. Foto: Diakoniewerk Simeon

„Am Anfang hatten wir noch fünf Sozialarbeiterstellen, jetzt sind es nur noch knapp zwei“, beschreibt Thomas de Vachroi die angespannte Situation. Vor acht Jahren wurde er vom Kirchenkreis zu Deutschlands erstem Armutsbeauftragten berufen – inzwischen übt er diese Funktion auch im Auftrag der Landeskirche aus. Zudem ist er im Diakoniewerk Simeon verantwortlich für das Haus Britz – ein Wohnprojekt für Menschen mit und ohne Beeinträchtigungen, das kurz vor der Wende errichtet wurde.

Zuwendungen decken nicht die Kosten

Dr. Oliver Unglaube, Geschäftsführer Diakoniewerk Simeon. Foto: Diakoniewerk Simeon

Die Zuwendungen für die soziale Arbeit bewegten sich im laufenden Jahr in vielen Bereichen auf Vorjahresniveau, berichtet der Geschäftsführer des Werks, Oliver Unglaube. Das komme faktisch einer Kürzung gleich, denn die Kosten seien weiter gestiegen. Je nach Tarif betragen allein die Tariferhöhungen für das Jahr 2025 ungefähr 10 Prozent. „Die Politik kalkuliert mit dem guten Willen insbesondere der kirchlichen Träger, die trotz Spardrucks solche Angebote aus Überzeugung schwerlich aufgeben.“

Hinzu komme, dass bei der Zuwendungsfinanzierung sozialer Angebote von den Kostenträgern innerhalb Berlins Eigenanteile vorausgesetzt werden: So müsse das Diakoniewerk stets einen Anteil von ungefähr 30 Prozent leisten. Da man insbesondere für die Arbeit für Menschen in sozialen Notlagen wie z. B. Wohnungslosigkeit immer wieder eine gute Spendenbereitschaft verzeichne, könne man das noch schultern. „Kleinere Träger, die im größeren Umfang in der zuwendungsbasierten Arbeit tätig sind, können Schwankungen schwerer auffangen“, stellt Unglaube fest. Zwar konnte dank massiver Proteste, an denen auch der diakonische Landesverband beteiligt war, ein größerer Kahlschlag im Sozialbereich bei der letzten Haushaltsrunde vermieden werden. Doch Unglaube blickt mit Sorge auf den kommenden Doppelhaushalt des Landes und befürchtet eine Verschärfung der schleichenden Kürzungen.

Mehr Unterstützung gewünscht

Vom diakonischen Landesverband wünscht man sich daher noch mehr Engagement, um Druck auf politische Entscheidungsträger aufzubauen. Insbesondere sollte intensiver über die Arbeit der einzelnen Mitgliedswerke berichtet werden. Es sei wichtig, dass die Vielfalt der Träger sichtbar werde, um deren Relevanz sowohl in der Stadt als auch auf dem Land aufzuzeigen.

Tee- und Wärmestube Plus als Leuchtturmprojekt

Trotz der Herausforderungen hat das Unternehmen mit der einst kleinen Tee- und Wärmestube große Pläne: Bis zum kommenden Jahr soll zwei Querstraßen weiter ein Neubau entstehen, der mehr Platz und Räumlichkeiten bietet. Doch nicht nur das: Es sind auch 16 Micro-Appartements für Menschen in schwierigen Wohnsituationen geplant. Durch die professionelle Beratung von Sozialarbeitenden soll ihnen so der Weg zurück in ein selbstbestimmtes Leben ermöglicht werden.

Unterstützung von Kirchenkreis und Lotto-Stiftung

Möglich wurde dieses Projekt nur, weil der Kirchenkreis Neukölln ein Gelände zur Verfügung stellte, das direkt an das evangelische Gemeindehaus und die Kita angrenzt.

Die rund fünf Millionen Euro teuren Baukosten übernimmt zum überwiegenden Teil der Kirchenkreis, zwei Millionen Euro kommen von der Lotto-Stiftung. „Man hätte hier auch ein normales Mietshaus errichten und von der attraktiven Lage im Schillerkiez wirtschaftlich profitieren können“, sagt Unglaube. Die Nähe zum weitläufigen Tempelhofer Feld sorgte in den vergangenen Jahren für einen enormen Anstieg der Mietpreise in der Region. Die Kosten für ein möbliertes Zimmer liegen in dem Kiez mitunter bei 20 Euro pro Quadratmeter und weit darüber!

Mit dem Ausbau des Projekts werden auch die jährlichen Betriebskosten inklusive der Gehälter des Personals von derzeit 300.000 auf ca. 550.000 Euro steigen.

Mitarbeitendenwohnungen als Anreiz

Im Frühjahr 2026 soll ein innovatives Wohnprojekt fertig werden: Es beinhaltet Angebote von Eingliederungs- und Jugendhilfe sowie Mitarbeitenden-Wohnungen. Grafik: Ten Brinke

Ein paar Straßen weiter läuft seit Herbst vergangenen Jahres ein weiteres Bauprojekt, das in der Dimension noch deutlich größer ist: Auf einer Gesamtwohnfläche von rund 2.900 Quadratmetern sollen bis Frühjahr kommenden Jahres 41 Wohneinheiten entstehen. Geplant sind unter anderem ein Angebot für Menschen mit Beeinträchtigungen, eine Kinderwohngruppe, Mutter-Kind-Wohnen sowie Wohnungen für Mitarbeitende des Diakoniewerks. Im Erdgeschoss zieht eine Jugendhilfestation ein – ein Angebot der ambulanten Hilfe zur Erziehung.

Durch die Nutzung der eigenen Immobilie für die verschiedenen Hilfefelder schaffe man eine solide Basis. Die Mitarbeitendenwohnungen erfüllen zudem einen wichtigen Zweck: „Gerade in Berlin mit einem sehr angespannten Mietenmarkt kann dieses Angebot ein wertvoller Bonus bei der Gewinnung und Bindung neuer Mitarbeitenden sein“, sagt Unglaube.

Weitere Projekte sind in der Entwicklung. Dabei sei man auch in engem Austausch mit Kirchengemeinden, um zu schauen, wie örtliche Strukturen für die Diakonie nutzbar gemacht werden können. „Es ist wichtig, dass sich die Leute vor Ort mit der Arbeit identifizieren“, meint de Vachroi. Dies erleichtere auch das Fundraising, das in der Zukunft weiter an Bedeutung gewinnen werde. „Wir sollten generell mehr nach Möglichkeiten Ausschau halten, wie wir die Verzahnung von Kirche und Diakonie stärker fördern können“, bekräftigt Unglaube. Wenn auf dem Kirchengelände auch professionelle diakonische Arbeit angeboten werde, sei dies für beide Seiten bereichernd – und kann das christliche Zeugnis in der Gesellschaft stärken.

Text: Tobias-B. Ottmar

Hinweis

Dieser Text erschien zunächst am 14. Mai 2025 im VdDD-Mitgliedermagazin "diakonie unternehmen" 1/25

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Herr Tobias Ottmar trägt eine ovale Brille, einen Bart und ein weißes Hemd.
Tobias-B. Ottmar

Referent für Öffentlichkeitsarbeit und Verbandskommunikation