Bürokratieabbau muss jetzt gelingen

Auch die Sozialsysteme brauchen eine nachhaltige Weiterentwicklung – sie müssen „smarter“ werden. Es muss möglich sein, die Dokumentations- und Berichterstattungspflichten zeitnah und pragmatisch zu minimieren – kommentiert Mandy Köhler, geschäftsführende Vorständin der Diakonie St. Martin und VdDD-Vorstandsmitglied.
Aktuell stellen wir als Unternehmen notwendige Investitionen in Digitalisierung und Innovationen zurück, weil wir das Personal und Geld für die Erfüllung bürokratischer Pflichten einsetzen müssen. Einige Beispiele aus der Praxis als Träger von Kindertageseinrichtungen:
1. Personalmeldungen gemäß SGB VIII nach § 47, Abs. 1 für Kindertageseinrichtungen müssen postalisch erfolgen, obwohl digitale Alternativen vorhanden sind.
2. Laut der Sächsischen Qualifikations- und Fortbildungsverordnung pädagogischer Fachkräfte dürfen staatlich anerkannte Erzieher und Heilpädagogen mit Fach- oder Hochschulabschluss zwar eine Einrichtung mit bis zu 70 Plätzen leiten – für eine Einrichtung ab 71 Plätzen sind sie jedoch laut Verordnung nicht qualifiziert (§ 2).
3. Im Rahmen des Fachkräfte-Monitorings sind im § 22a des (sächsischen) Gesetzes über Kindertageseinrichtungen die (jährlichen) Meldepflichten geregelt. Für jede Einrichtung ist dabei ein gesondertes Formular einzureichen. Allerdings sind diese dort abgefragten Erhebungen bereits mit der Personalmeldung eingereicht worden (siehe Punkt 1).
4. Auch im Rahmen der Statistikmeldungen der Personalabteilung zu Kindertageseinrichtungen werden Daten zur Auslastung, Alter, Geschlecht, Betriebszugehörigkeit u. v. m abgefragt, die bereits in anderen Meldungen enthalten sind.
Über die Diakonie St. Martin
Die Diakonie St. Martin – benannt nach dem heiligen Martin von Tours – steht im diakonischen Auftrag und mit christlichen Werten Menschen zur Seite, die Begleitung, Förderung und Zuwendung in besonderer Weise brauchen. 1.800 Mitarbeitende sind in der Pflege, Betreuung, Beratung, Unterstützung, Versorgung und Verwaltung für die Menschen da.
Vorschriften binden Personal
Dies ist nur ein kleiner Einblick in den Bürokratiealltag. Als Komplexträger addieren sich diese Meldepflichten für zehn Kindertageseinrichtungen zu denen, die in den anderen sozialen Arbeitsbereichen anfallen. Jede Vorschrift bindet zusätzliches Personal, welches wir eigentlich dringend in den operativen Abläufen benötigen. Viele Meldungen gehen zu unterschiedlichen Stichtagen an dieselben Behörden. Eine zentrale Plattform, einheitliche Stichtage und digitale Meldeverfahren wären einfache Lösungen.
Klimaschutz, Datenschutz, Hinweisgeberschutz
Als Unternehmen benötigen wir außerdem viel Zeit und Geld, um Hinweisgeber zu schützen, den Energieverbrauch zu dokumentieren oder Berichte über Nachhaltigkeit und Arbeitsbedingungen entlang der Lieferkette zu erstellen. Neben dem organisatorischen Aufwand müssen wir unsere Mitarbeitenden kontinuierlich schulen, damit sie die gesetzlichen Anforderungen verstehen und umsetzen können sowie die notwendigen Zertifizierungen erreichen, damit die entsprechenden Berichte abgegeben werden können. Dabei bleibt fraglich, wer diese Berichte tatsächlich liest.
Digitalisierung als Chance?
Dennoch haben diese Herausforderungen auch zu Veränderungsbereitschaft in unserem Unternehmen geführt: Wir erarbeiten derzeit eine Digitalisierungsstrategie, um die digitale Reife unseres Unternehmens festzustellen und grundlegend Arbeitsstrukturen und Prozesse digital zu verändern. Das Ziel: Verwaltungsabläufe optimieren und die Datenverwaltung verbessern. Moderne Technologien wie Cloud-Computing und künstliche Intelligenz könnten hierbei helfen.
Durch die Anforderung zur Überprüfung der Lieferanten anhand der Lieferkette haben wir bereits festgestellt, dass eine Reduzierung der Lieferantenzahl und optimale Aushandlung von Verträgen zur Senkung der Einkaufskosten führt. Im Ergebnis kann dann auch nachhaltiger eingekauft und so ein Beitrag zum Klimaschutz geleistet werden. Mitarbeitende zeigen trotz anfänglicher Skepsis zunehmendes Interesse an digitalen Lösungen. Doch auch hier entstehen neue bürokratische Hürden: Risikoanalysen für KI, Datenschutzanforderungen und umfassende Compliance-Vorgaben bringen neuen Verwaltungsaufwand mit sich.
Bürokratie erstickt Kreativität
Regelmäßige Wirksamkeitsanalysen sollten überprüfen, ob neue Regelungen ihre Ziele erreichen. Oft entstehen unnötige Kosten, weil bestehende Vorschriften nicht evaluiert werden. Unternehmen sollen sich mit Innovationen frei entfalten können, statt durch neue Vorschriften ausgebremst zu werden. Bürokratie erstickt Kreativität und hemmt die Entwicklung neuer Lösungen.
Es gibt viele Beispiele für „gut gemeint, aber schlecht gemacht“. Die unternehmerische Eigenverantwortung wird durch übermäßige Regelungen zunehmend eingeschränkt. Wenn die Politik die Belastungsgrenzen der Unternehmen erkennt, könnten sich die Rahmenbedingungen verbessern und der Fokus wieder auf die Bedarfe von Klienten und Leistungserbringern gerichtet werden.
Zur Person

Mandy Köhler leitet die Diakonie St. Martin in Rothenburg (Sachsen) und ist Vorstandsmitglied im Verband diakonischer Dienstgeber in Deutschland.
Hinweis

Dieser Text erschien zunächst am 14. Mai 2025 im VdDD-Mitgliedermagazin "diakonie unternehmen" 1/25.
Ansprechpartner

Tobias-B. Ottmar
Referent für Öffentlichkeitsarbeit und Verbandskommunikation
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