Wie kann das Rentensystem zukunftsfähig gemacht werden? Manch oft geforderte Anpassung bringt eher wenig – andere Stellschrauben werden noch zu wenig beachtet.

Ein Standpunkt von Prof. Dr. Joachim Ragnitz 

Die Zahl der Altersrentner in Deutschland wird mit dem sukzessiven Renteneintritt der geburtenstarken Jahrgänge der 1950er und 1960er Jahre bis Mitte der 2030er Jahre deutlich zunehmen. Ende 2023 gab es 17,8 Mio. Personen, die älter waren als das gesetzliche Renteneintrittsalter von aktuell 66 Jahren; zum Ende der 2030er Jahre werden insgesamt 20,9 Mio. Personen im Rentenalter sein. Dem steht eine immer kleiner werdende Zahl an Personen im Erwerbsalter (ab 20 Jahren) gegenüber: Sind dies derzeit noch 51 Mio. Personen, reduziert sich deren Zahl bis 2039 auf nur noch 47,9 Mio. Personen. In einem umlagefinanzierten Rentensystem führt die Verschlechterung der Relation zwischen Erwerbsfähigen und Rentnern zwangsläufig zu Finanzierungsproblemen, die sachlogisch nur gelöst werden können, wenn entweder die Zahlungen an die Rentnergeneration abgesenkt werden oder die Finanzierungsbeiträge der Jüngeren steigen. Die dritte Möglichkeit, eine weitere Verlängerung der Lebensarbeitszeit, stellt keine eigenständige Alternative dar, sondern lässt sich als Mittelweg zur Aufteilung der Mehrbelastungen durch die Alterung interpretieren, da über den Lebenszyklus gesehen die Beitragszahlungen des Einzelnen steigen und die Rentenauszahlungen sinken. 

Rentnergeneration sollte Kosten der Alterung mittragen

Die sich in den nächsten Jahren verschärfenden Finanzierungsprobleme der umlagefinanzierten Alterssicherung resultieren primär daher, dass die künftige Rentnergeneration zu wenig Kinder zur Welt gebracht hat. Frauen der Geburtsjahrgänge 1960 bis 1970, die in den kommenden zehn Jahren in Rente gehen werden, haben im Durchschnitt nur 1,56 Kinder geboren. Also deutlich weniger, als es zur Stabilisierung der Zahl der Beitragszahler (2,1 Kinder je Frau) erforderlich gewesen wäre. Aus Gründen der Generationengerechtigkeit erscheint es daher angemessen, die Kosten der Alterung der Rentnergeneration anzulasten (also das Rentenniveau abzusenken), zumal diese aufgrund der in der Vergangenheit niedrigeren Beitragssätze und der Ersparnis bei den Kosten der Kindererziehung in ihrer Erwerbsphase auch ein vergleichsweise hohes Einkommen erzielt haben. Dies folgt aus der Logik des Generationenvertrags: Demnach können die erworbenen Rentenansprüche als nachgelagerte Erstattung der Aufwendung für die Erziehung von Kindern interpretiert werden, denn in einem umlagefinanzierten System gibt es (anders als in einem Rentensystem nach dem Kapitaldeckungsverfahren) keinen unmittelbaren Zusammenhang zwischen Rentenversicherungsbeiträgen und eigenen -ansprüchen. Allerdings dürfte die damals wahrgenommene und auch politisch vermittelte Stabilität des Rentensystems mit einem Rentenniveau von damals deutlich mehr als 50 Prozent des Standardnettoeinkommens Einfluss auf private Vorsorgeentscheidungen und die demografische Entwicklung gehabt haben. Das Rentenniveau jetzt so stark zu senken, dass die Belastung der erwerbsfähigen Generation konstant gehalten werden könnte, erscheint daher auch nicht fair.

Rentner-Stimmen beeinflussen Reformwillen

Letzten Endes ist es deshalb eine politische Entscheidung, wie die Belastungen zwischen erwerbsfähiger Bevölkerung und Rentnergeneration aufgeteilt werden. Allerdings dürfte die Politik wegen der Stimmenmehrheit von Rentnern und rentennahen Jahrgängen tendenziell zugunsten der älteren Bevölkerung entscheiden. Dies zeigt sich nicht nur an Rentenreformen der Vergangenheit (Einführung der abschlagsfreien „Rente für besonders langjährige Versicherte“, der Mütterrente I und II, der Grundrente), sondern auch den gegenwärtigen Planungen der Bundesregierung, das Rentenniveau dauerhaft bei 48 Prozent des Durchschnittseinkommens zu stabilisieren. Dies würde die Kosten der Alterung allein der erwerbsfähigen Generation aufbürden, die nun wirklich kaum etwas dafür kann, dass die vorangegangene Elterngeneration zu wenig Kinder zur Welt gebracht hat. Sinnvoller erscheint es daher, den Nachhaltigkeitsfaktor in der Rentenanpassungsformel beizubehalten, mit dem die Mehrbelastungen im Grundsatz auf beide Gruppen aufgeteilt werden. Schließlich wird so das Verhältnis von Beitragszahlern zu Rentnern berücksichtigt. Selbst dann würde aber die Beitragsbelastung der erwerbsfähigen Generation von derzeit 18,6 Prozent des (sozialversicherungspflichtigen) Einkommens auf 21,3 Prozent Ende der 2030er Jahre ansteigen, das Rentenniveau (netto vor Steuern) hingegen von aktuell 48,0 Prozent auf 44,9 Prozent des Standardnettoeinkommens sinken. Und zusätzlich muss die Gesamtheit der Steuerzahler noch für die Zahlungen des Bundes an die gesetzliche Rentenversicherung aufkommen, die aktuell mit 112 Mrd. Euro rund ein Viertel des gesamten Bundeshaushalts ausmachen und künftig ebenfalls steigen werden. Dies belastet im Wesentlichen ebenfalls die erwerbsfähige Generation, da diese das Gros der Steuerzahlungen leistet. 

Abschaffung der Mütterrente oder „Rente mit 63“ ist langfristig wirkungslos

Mütterrenten und „Rente mit 63“ abzuschaffen, wie vereinzelt gefordert, hilft langfristig allerdings nicht viel weiter, da die hierdurch verursachten Mehrausgaben wegen der sinkenden Zahl der Anspruchsberechtigten im Zeitablauf tendenziell zurückgehen werden. Auch eine an den Anstieg der Lebenserwartung gekoppelte Verlängerung der Lebensarbeitszeit wird zumindest für die 2030er Jahre keinen allzu großen Beitrag zur Senkung der Belastungen Jüngerer leisten können, da dies erst in den Jahren danach spürbare Auswirkungen haben dürfte. Und Skepsis ist auch gegenüber Vorschlägen zur Einbeziehung weiterer Bevölkerungsgruppen (Selbständige oder Beamte) in die gesetzliche Rentenversicherung oder die Ausweitung der versicherungspflichtigen Einnahmen (z.B. auf Einkünfte aus Vermietung oder aus Vermögen) angebracht, da dies zumindest mittelfristig auch zu höheren Rentenansprüchen führen dürfte. Insoweit lassen sich die Finanzierungsprobleme der Rentenversicherung vermutlich wirklich nur lösen, wenn das Rentenniveau weiter abgesenkt wird.

Betriebsrenten und private Vorsorge weiter stärken

Dies bedeutet natürlich nicht, dass die Renten absolut sinken (dies ist schon durch die Schutzklausel des § 68a SGB VI ausgeschlossen), sondern nur, dass sie weniger stark steigen würden als die (beitragspflichtigen) Löhne. Dennoch werden die meisten Rentner mit Renteneintritt auch weiterhin spürbare Einkommenseinbußen gegenüber der Erwerbsphase erleiden. Um so wichtiger werden die beiden anderen Säulen der Alterssicherung: Betriebsrenten einerseits und private Vorsorge andererseits. Hier gibt es sicherlich noch Luft nach oben: Nach den letztverfügbaren Daten erwarben 2019 nur rund 54 Prozent aller SV-pflichtigen Beschäftigten Ansprüche auf eine Betriebsrente; rechnet man auch Riesterrenten mit ein, so liegt der Anteil der Beschäftigten mit zusätzlicher Altersvorsorge bei knapp zwei Dritteln. Nur in wenigen Bereichen – hierzu zählen neben dem öffentlichen Dienst auch Kirche und kirchliche Wohlfahrtsverbände wie die Diakonie – haben wir durch die Versorgungsbeiträge der Arbeitgeber quasi eine 100 Prozent-Quote, was die betriebliche Altersvorsorge angeht. 

Abkehr vom Äquivalenzprinzip?

Doch alles in allem sind die aus der betrieblichen Altersvorsorge resultierenden Rentenanwartschaften für Durchschnittsverdiener oftmals eher gering und werden die Rentenlücke nicht komplett schließen können. Zudem weisen gerade Personen mit niedrigen Einkommen in der Erwerbsphase (und deswegen auch niedrigen Ansprüchen aus der gesetzlichen Rentenversicherung) auch seltener eine zusätzliche Altersabsicherung auf. Gerade für sie ist deswegen auch das Risiko von Altersarmut erhöht. Hinzu kommt schließlich, das viele künftige Rentner in ihrem Erwerbsleben zeitweise von Arbeitslosigkeit betroffen waren und in dieser Zeit nur äußerst geringe Rentenanwartschaften erworben haben. Ein denkbarer Weg zur Lösung dieses Problems liegt in einer Abkehr von dem die Rentenversicherung prägenden Äquivalenzprinzip, nachdem erworbene Entgeltpunkte unterschiedlich hoch gewertet werden. Bislang „belohnt“ das Rentensystem diejenigen, die im Erwerbsleben besser verdient haben. Die Frage, ob die gesetzliche Rente lediglich eine Art Existenz sicherung darstellen sollte, wäre ein grundlegender Paradigmenwechsel. Ob eine solche Umverteilung von Reich zu Arm innerhalb der Rentenversicherung politisch durchsetzbar wäre und überdies auch verfassungsrechtlichen Bestand hätte, ist aus heutiger Sicht allerdings fraglich.

Das Generationenkapital hat kaum Auswirkungen

Schließlich wird auch eine grundlegende Abkehr von der umlagefinanzierten Rentenversicherung zu einem kapitalstockgedeckten System diskutiert. Selbst wenn man dies ernsthaft angehen wollte, stellt dies aber keine Lösung für die mittelfristigen Herausforderungen des Rentensystems dar, denn für die Rentner der 2030er Jahre müsste die erwerbsfähige Generation ja dennoch weiterhin aufkommen – und dazu womöglich auch noch Mittel für ihre eigene Altersversorgung ansparen. Die Beitragsentwicklung der kirchlichen Zusatzversorgungskassen – die Anfang der 2000er-Jahre die Umstellung von einem umlagefinanzierten zu einem kapitalgedeckten System gewagt haben – zeigt auf, mit welchen jahrzehntelangen Mehrbelastungen zu rechnen wäre. Die von der Bundesregierung angekündigte Schaffung eines „Generationenkapitals“ zielt deswegen auch nur auf eine Ergänzung der umlagefinanzierten Rente ab. Da sich die künftig zur Auszahlung zur Verfügung stehenden Beträge nur aus der Differenz zwischen Dividendenerträgen einerseits und zu zahlenden Schuldzinsen andererseits ergeben, würde selbst bei weiterer Aufstockung des Kapitalstocks Ende der 2030er Jahre nur ein verschwindend kleiner Beitrag zur Stabilisierung der Renten erreicht werden können. Dies könnte sich allenfalls ändern, wenn eine konjunkturelle Belebung zu Haushaltsüberschüssen führen würde, wie sie von 2014 bis 2019 zu verzeichnen waren und die Überschüsse zumindest teilweise für den weiteren Aufbau des Generationenkapitals verwendet werden würden. Derzeit erwartet die Bundesregierung selbst, dass im Jahr 2040 nur 1,4 Prozent der Rentenausgaben durch die Erträge aus dem Generationenkapital gedeckt werden. Der Beitragssatz würde damit um lediglich 0,3 Prozentpunkte niedriger ausfallen als bei Verzicht auf den Aufbau eines solchen Kapitalstocks.

Mut zu sachgerechten Lösungen

Wie man es auch dreht und wendet: Die 2030er Jahre stellen eine große Herausforderung für die Rentenversicherung sowie die betroffenen Arbeitnehmer und Arbeitgeber dar. Erst ab etwa 2040 wird sich die Situation wieder allmählich entspannen, weil die geburtenstarken Jahrgänge dann allmählich ihr Lebensende erreichen. Die Politik vermittelt indes nicht den Eindruck, ernsthaft nach Antworten auf die anstehenden Finanzierungsengpässe der Alterssicherung zu suchen. Diese können wohl nur in einem Bündel verschiedener, jedoch allesamt unpopulärer Maßnahmen liegen: Einer Verringerung des Rentenniveaus bei gleichzeitiger moderater Anhebung der Beitragssätze, einer Verlängerung der Lebensarbeitszeiten, ggf. auch einer stärkeren Steuerfinanzierung der Rente, die dann wiederum durch Ausgabeneinschränkungen anderswo oder Steuererhöhungen gegenfinanziert werden muss. Die Mehrbelastungen lassen sich inzwischen nicht mehr vermeiden; Simulationsstudien zeigen aber, dass sie durch geschickte Kombination durchaus sozialverträglich verteilt werden können. Die Politik muss endlich den Mut aufbringen, hier sachgerechte Lösungen zu finden.

Zum Autor

Prof. Dr. Joachim Ragnitz ist Wirtschaftswissenschaftler und stellvertretender Leiter der Niederlassung Dresden des ifo Instituts.


VdDD-Magazin "diakonie unternehmen"

Mehr zum Thema "Generationengerechtigkeit - Wie schaffen wir das Gleichgewicht?" finden Sie im VdDD-Mitgliedermagazin "diakonie unternehmen" 2/24, das VdDD-Mitgliedern kostenfrei zur Verfügung steht.