Im vergangenen Jahr feierte der Verband diakonischer Dienstgeber in Deutschland e.V. (VdDD) sein 25-jähriges Bestehen. Zu diesem Anlass führte die "ZMV – Die Mitarbeitervertretung" ein Interview mit unserem Vorstandsvorsitzenden Dr. Ingo Habenicht. Ein Gespräch über Erfolge, neue Ziele und die Herausforderungen in der diakonischen Arbeitswelt.

Der Verband diakonischer Dienstgeber in Deutschland e.V. wurde 1996 mit dem Ziel gegründet, ein schlagkräftiges Bündnis in Form einer eigenständigen bundesweiten Dienstgeberorganisation einzugehen. Wie steht der Verband heute da?

16 diakonische Einrichtungen haben den VdDD vor 25 Jahren gegründet. Heute vertreten wir über 180 Mitgliedsunternehmen und sieben Regionalverbände mit über 500.000 Mitarbeitenden. Ich denke, diese Zahlen sprechen für sich. Von der Beratung in arbeits- und tarifrechtlichen Fragen bis zum Erfahrungsaustausch zur Personalgewinnung – in der täglichen Praxis zeigt sich, dass die Mitgliedsunternehmen einen gut organisierten Unternehmensverband brauchen. Der VdDD ist ein geschätzter Gesprächspartner für Politik, Verbände und Wirtschaft und ein konstruktiver Akteur in der Gestaltung des kirchlichen Tarif- und Arbeitsrechts.

In ZMV 2001, 269 ff. stellte unser Autor Walter Berroth die Notwendigkeit eines Dienstgeberverbands in der Diakonie in Frage, bezeichnete dies gar als „Fehlentwicklung“. Der Hauptgeschäftsführer Ihres Verbands, Ingo Dreyer, verteidigte in ZMV 2002, 2 ff. den VdDD hingegen als sachgemäße Antwort auf die Herausforderungen im Sozialbereich. Welche Herausforderungen konnte der VdDD bislang stemmen?

Die Gründung des VdDD war eine Antwort auf die sich verändernden Rahmenbedingungen für diakonische Arbeit – die Abkehr vom Selbstkostendeckungsprinzip, eine veränderte Refinanzierungssituation, steigender Wettbewerbsdruck. Seit der Gründung ist es gelungen, das Bewusstsein dafür zu schärfen, dass diakonische Einrichtungen sich als Unternehmen organisieren und im Wettbewerb bestehen müssen. Mit den Arbeitsvertragsrichtlinien der Diakonie Deutschland wurde schließlich eine tarifliche Leitwährung im diakonischen Bereich etabliert, die sich deutlich von den Tarifen im öffentlichen Dienst unterscheidet. Sie bietet attraktive Arbeitsbedingungen und ist zugleich auf die personalwirtschaftlichen Anforderungen diakonischer Unternehmen ausgerichtet. Diesen Prozess hat der VdDD maßgeblich begleitet.

Was bedeutet es, Dienstgeberverband im Dritten Weg und in der Tariflandschaft der Diakonie zu sein?

Wir vertreten die tarifpolitischen Interessen unserer Mitglieder und fördern die konsensorientierte Weiterentwicklung des kirchlichen Tarif- und Arbeitsrechts, zum Beispiel in den arbeitsrechtlichen Kommissionen. Zugleich sind wir bereit zum Dialog mit allen Sozialpartnern der heterogenen Dienstnehmerverbände- und Gewerkschaftsstrukturen. Wir bringen uns aktiv in die Arbeit von Diakonie Deutschland ein und beraten mit den zuständigen Fachverbänden und regionalen Dienstgebervereinigungen über die übergreifenden Themen, um unsere gemeinsamen Interessen zielgerichtet zu vertreten. Im Kontakt mit der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände stärken wir die Position unserer Mitglieder auf dem Arbeitsmarkt. Auch stehen wir in engem Austausch mit Einrichtungen auf der katholischen Seite. Wir verstehen uns als bundesweite Dienstleistungsplattform der Diakonie: Wir informieren unsere Mitglieder über relevante unternehmenspolitische und rechtliche Entwicklungen, bieten ihnen Fachtage, Seminare und diverse Austauschformate an.

Welche Pläne und Ziele strebt der VdDD für die Zukunft an?

Die Stärkung der kirchengemäßen Wege der Arbeitsrechtssetzung, insbesondere des Dritten Wegs, ist auch in Zukunft eine unserer wichtigsten Aufgaben. Zudem wollen wir dazu beitragen, dass die Diakonie mit ihren Arbeitsbedingungen und Löhnen branchenweit auch weiterhin an der Spitze steht, die hohe Tarifbindung in der Diakonie erhalten bleibt und die Einrichtungen solide wirtschaften können. Ein weiteres Anliegen ist für uns die Stärkung des gemeinnützigen Dritten Sektors. Weder stärkere Verstaatlichung noch zunehmende Privatisierung sind Antworten auf die Herausforderungen unserer Zeit – die Corona-Pandemie hat das eindrücklich gezeigt. Die tragende Rolle gemeinnütziger Unternehmen im Sozial- und Gesundheitswesen muss daher bewahrt und gestärkt werden.

Welche aktuellen Entwicklungen sowohl im kirchlich-diakonischen bzw. caritativen Bereich als auch im allgemeinen Sozialbereich sehen Sie kritisch, welche Entwicklungen begrüßen Sie?

Kritisch sehe ich, wenn die Debatte um die Arbeitsbedingungen in den sozialen Berufen, etwa in der Pflege, pauschal geführt wird. Unfaire Bedingungen sind zu überwinden, aber sie herrschen nicht im gesamten Sektor – und schon gar nicht in der Diakonie. Wir müssen aufpassen, sinnstiftende Berufe nicht schlechtreden zu lassen. Die Personalsituation ist im gesamten sozialen Bereich massiv angespannt. Auf die Herausforderung, genügend gutes Personal zu finden und zu binden, gibt es auch im aktuellen Koalitionsvertrag kaum Antworten. Zu begrüßen sind die Pläne der Ampel-Regierung zu tatsächlichen Strukturreformen, etwa in der quartiersbezogenen oder der sektorenübergreifenden Versorgung. Ich bin gespannt auf die Umsetzung.

Wie steht der VdDD zu dem Verhalten der Dienstgeber- Seite der Caritas zur Ablehnung der Zustimmung zum allgemeinverbindlichen Tarifvertrag Pflege? Sind Sie erleichtert, dass die Caritas-Dienstgeber die Kastanien aus dem Feuer geholt haben? Hätten Sie genau so entschieden?

Wir haben in der Debatte um einen allgemeinverbindlichen Tarifvertrag kein Geheimnis daraus gemacht, dass wir das jetzige Modell der Tariftreue für den geeigneteren Weg halten. Durch eine verpflichtende Bezahlung nach Tarif, in der auch die kirchlichen Tarifwerke einbezogen sind, können die Arbeitsbedingungen in der gesamten Branche nachhaltig verbessert werden, mehr als dies über Mindestbedingungen in einem allgemeinverbindlichen Tarifvertrag der Fall gewesen wäre. Der jüngste Beschluss der Pflegekommission hat zudem wieder gezeigt, dass wir hiermit ein branchen-repräsentatives, verlässliches Gremium haben, um geeignete Lösungen für eine untere Absicherung der Arbeitsbedingungen zu finden.

Sowohl im Bereich der evangelischen wie auch der katholischen Kirche gibt es nach wie vor Forderungen nach einer gesetzlichen Normierung der Unternehmensmitbestimmung. Diakonische und Caritative Einrichtungen sind häufig Großkonzerne mit mehreren tausend Mitarbeitern. Dennoch gibt es nach wie vor keine grundlegende gesetzliche Normierung – lediglich eine Verbandsempfehlung der Konferenz für Diakonie und Entwicklung aus 2017. Wie stehen Sie zu dem Anliegen der Einführung einer – verbindlichen – Unternehmensmitbestimmung auch in der Diakonie? Sieht der VdDD Reformbedarf?

Die Beteiligung von Mitarbeitenden in Aufsichtsorganen diakonischer Einrichtungen gab es bereits lange vor der Verabschiedung der Verbandsempfehlung – sie wurde durch sie noch verstärkt. Die Empfehlung geht einen anderen Weg als den, den der Gesetzgeber für die gewerbliche Wirtschaft vorgibt – und das zu Recht. Unternehmensmitbestimmung regelt die Beteiligung von Mitarbeitenden an unternehmerischen Entscheidungen, insbesondere in den Aufsichtsgremien. Nun sind diakonische Unternehmen nicht auf Gewinnmaximierung ausgerichtet, sondern erfüllen im gemeinnützigen Rahmen einen Auftrag der Kirche. Dienstnehmer und Dienstgeber arbeiten gemeinsam in einer Dienstgemeinschaft. Es fehlt also der im säkularen Bereich vorhandene Gegensatz von „Kapital“ und „Arbeit“ und damit einer der wesentlichen Gründe für die dortige Unternehmensmitbestimmung. Die Diakonie unterscheidet sich auch insoweit von der gewerblichen Wirtschaft, als sie eine nahezu flächendeckende betriebliche Mitbestimmung vorweisen kann. Über den nach dem Mitarbeitervertretungsgesetz vorgesehenen Wirtschaftsausschuss wird die erforderliche Transparenz hergestellt und von der Mitarbeitervertretung entsprechend Einfluss genommen – ein probates Mittel im Sinne der vertrauensvollen betrieblichen Sozialpartnerschaft. Zudem ist die Verbandsempfehlung in den Diakonischen Governance Kodex integriert und spricht so einen sehr viel weiteren Kreis von Unternehmen in der Diakonie an als die staatlichen Regelungen in der Wirtschaft. Nur knapp 2.100 der ca. 3,6 Millionen gewerblichen Unternehmen in Deutschland sind unternehmensmitbestimmt. Das rechtfertigt den auf Freiwilligkeit beruhenden Charakter der Empfehlung, denn sie gilt bereits bei einer mittleren Unternehmensgröße. Ich kann nur dafür werben, der Regelung Chance und Zeit zu geben, bevor hier regulatorisch Vorgaben gesetzt werden, die im Ergebnis weniger Beteiligung der Mitarbeitenden bewirken könnten.

Wo sehen Sie Verbesserungspotenzial im Umgang mit der Mitarbeiterseite – auf Ebene der Arbeitsrechtlichen Kommission (ARK), in den Einrichtungen?

Eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Dienstnehmern und Dienstgebern ist Kern unseres Handels. Dazu gehören ein enger Austausch auf Augenhöhe, das gemeinsame Ziel, sachliche und passgenaue Lösungen zu finden, wie auch die gegenseitige Anerkennung von Rechten und Pflichten. In den kirchengemäßen Verfahren zeigen wir, dass wir auf diesem Weg zu guten Ergebnissen kommen. Ich wünsche mir, dass wir diesen konstruktiven Dialog mit den Mitarbeitenden und den Sozialpartnern auch abseits arbeits- und tarifrechtlicher Fragen fortsetzen können, um so gemeinsame Lösungen und Perspektiven für eine nachhaltige Gestaltung der diakonischen Arbeitswelt zu finden – Leider sind derartige Pläne bisher nicht auf fruchtbaren Boden gestoßen. Ein grundsätzliches Problem ist, dass in den Debatten oft das Wesentliche aus den Augen verloren wird. Wir sehen das beispielsweise
auf Bundesebene bei den Gewerkschaften: Ideologische, politische Fragen überdecken hier häufig die eigentliche Sacharbeit. Ich wünsche mir, dass wir in der Zusammenarbeit zu einem fachlichen, konstruktiven Austausch finden und Gestaltungsoptionen auch wahrgenommen werden.

Vor 20 Jahren hat ein führender Diakoniker vermutet, den Dritten Weg werde es in 10 Jahren nicht mehr geben. Das war ein Irrtum. Wo sehen Sie den Dritten Weg in 20 Jahren?

Der Dritte Weg hat sich als Verfahren bis heute bewährt. Die Ergebnisse können sich sehen lassen. Auch die Konfliktlösung funktioniert: Verbindliche Schlichtungsverfahren sind ein zeitgemäßer Weg, Interessengegensätze auszugleichen. Der Weg über die Schlichtung schützt im Übrigen diejenigen, denen wir uns in unserem diakonischen Dienst verpflichtet haben. Ein Prinzip mit Vorbildcharakter für die öffentlich finanzierte Daseinsfürsorge, wie ich finde. Deshalb sollten wir alles daransetzen, dass in 20 Jahren nicht nur in Kirche und Diakonie, sondern auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen analog zum Verfahren des Dritten Wegs Konsense gefunden werden.
 

Die Fragen stellte Prof. Dr. Jacob Joussen
Quelle: ZMV 2/2022 zmv-online.de