Freiwilligendienst – „Alle Seiten profitieren“
Rund 100.000 Menschen engagieren sich jährlich in offiziellen Freiwilligen-Programmen - allen voran im Rahmen eines Freiwilligen Sozialen Jahres (FSJ). Diakonische Unternehmen bieten ihnen besonders viele Einsatzmöglichkeiten – von der Hilfe für Hörgeschädigte bis zur Begleitung von Demenzkranken. Die gemeinsame Arbeit bringt am Ende alle weiter – beobachtet Gisela Joelsen, Leiterin der Augustinum Freiwilligendienste.
Frau Joelsen, Sie leiten die Freiwilligendienste bei der Augustinum Gruppe – einem diakonischen Unternehmen mit mehr als 5.300 Mitarbeitern in ganz Deutschland. In welchen Arbeitsbereichen können Freiwilligendienstleistende bei Ihnen tätig werden?
Gisela Joelsen: Ein Großteil der Freiwilligen ist in den Augustinum Seniorenresidenzen aktiv. Hier gibt es unterschiedlichste Aufgabenbereiche. Die Freiwilligen sind im Bewohnerservice und am Empfang tätig. Hier unterstützen sie die Bewohnerinnen und Bewohner - zum Beispiel im Hol- und Bringservice, beim Gang zu Arzt oder beim Spazierengehen. In der Hauswirtschaft verteilen die Freiwilligen das Essen und erledigen kleinere pflegerische Tätigkeiten. Im Treffpunkt, dem Bereich für Bewohnerinnen und Bewohner mit einer Demenz, helfen die Freiwilligen den Tag zu strukturieren - sie reichen das Essen reichen oder bieten Freizeitbeschäftigungen an. In der Haustechnik werden Lampen gewechselt, der neue Fernseher im Appartement eingerichtet oder auch mal Schnee geräumt. Auch die Unterstützung der Kulturreferentinnen in den Häusern, die Veranstaltungen wie Konzerte, Kinovorführungen oder Vorträge organisieren, ist ein Tätigkeitsfeld der Freiwilligen.
Die Augustinum Gruppe ist auch noch in anderen Hilfefeldern aktiv. Können Freiwillige auch hier Ihren Dienst absolvieren?
Gisela Joelsen: Die Freiwilligen sind auch in unseren pädagogischen Einrichtungen eingesetzt. Im Bereich Wohnen für Menschen mit Behinderung helfen sie bei hauswirtschaftlichen Tätigkeiten, gestalten den Alltag oder begleiten zum Arzt. In den Werkstätten unterstützen sie die Menschen mit Behinderung im Produktionsprozess – zum Beispiel in der Gärtnerei, oder ganz neu: in der Produktion von Mund-Nase-Masken. Oder sie fördern diejenigen, die nicht so selbstständig arbeiten können. In unserem Internat für Hörgeschädigte und dem Internat für Kinder und Jugendliche mit einem erhöhten Förderbedarf im emotionalen und sozialen Bereich unterstützen die Freiwilligen bei den Hausaufgaben und der Freizeitgestaltung. Auch in den Sanatorien und in der Klinik können die Freiwilligen sich im Rahmen Ihres Dienstes einbringen.
Was macht den Einsatz bei Ihnen besonders?
Gisela Joelsen: Wir ermutigen und unterstützen die Freiwilligen stets dabei, eigene Projekte zu entwickeln. So hat zum Beispiel ein Freiwilliger einen Austausch organisiert, bei dem er den Senioren die Musik seiner Generation nähergebracht hat. Auch haben wir in den Residenzen ein Jahresthema, bei dem eigene Projekte entwickelt werden können. Derzeit ist es das Thema „Reifezeit“. Das Kulturprogramm und auch der Austausch zwischen den Bewohnern und den Freiwilligen steht unter diesem Thema und bringt neue Vorhaben hervor. So kann etwa im Rahmen eines Kaffeeklatsches generationenübergreifend diskutiert werden: „Wie bin ich gereift und was bedeutet das für Sie / Dich?“
Wer leistet bei Ihnen einen Freiwilligendienst und mit welcher Motivation starten die jungen Frauen und Männer?
Gisela Joelsen: Rund 90 Prozent der Freiwilligen bei uns leisten ihren Dienst im Rahmen eines Freiwilligen Sozialen Jahres (FSJ). Der Rest absolviert einen Bundesfreiwilligendienst (BFD). Der überwiegende Teil der 200 Freiwilligen ist damit nicht älter als 27 Jahre. Vom 16-Jährigen, der noch keine beruflichen Zukunftspläne hat und in die Branche schnuppern will, bis zu denjenigen, die sich nach dem Abitur unbedingt sozial engagieren wollen, sind die unterschiedlichsten Menschen dabei. Auch Au Pairs sind eine große Gruppe unter den Freiwilligen. Sie wollen nach dem Au Pair in Deutschland bleiben und finden durch das soziale Engagement im Anschluss oft auch noch den Weg in die Ausbildung bei uns.
Mit welchen Herausforderungen sind sie als Unternehmen konfrontiert?
Gisela Joelsen: Der Freiwilligendienst ist heute für junge Menschen eine Option unter vielen. Ich würde mir wünschen, dass mehr – egal ob junge Menschen oder deren künftige Arbeitgeber - schätzen, was dieses Jahr für die Persönlichkeitsentwicklung und für die Gesellschaft als Ganzes bewirkt. In der Praxis stehen wir natürlich auch vor der Herausforderung, Erwartungen und Wirklichkeit eines Freiwilligendienstes sowohl von Seiten der Freiwilligen wie auch der Einsatzstellen in Einklang zu bringen.
Warum engagiert sich die Augustinum Gruppe dennoch als Anbieter von Freiwilligendiensten?
Gisela Joelsen: Alle Seiten profitieren. Die jungen Menschen bringen ihre ganz unterschiedlichen Kompetenzen und Fähigkeiten in die Einrichtungen ein. Dabei lernen sie viel über sich selbst, über andere Menschen und über die Branche. Zudem haben Freiwilligendienste im Augustinum Tradition. Bereits 1962 – noch bevor zwei Jahre später das Gesetz zum Freiwilligen Sozialen Jahr im Bundestag verabschiedet wurde – rief Gertrud Rückert, Mitgründerin des Augustinum, den „Philadelphischen Dienst“ als Angebot für junge Menschen im Unternehmen ins Leben. Freiwilliges Engagement und Augustinum gehören also fest zusammen.
Wie viele der Freiwilligen wechseln nach ihrem Dienst in die Ausbildung oder steigen beruflich bei Ihnen ein?
Gisela Joelsen: Es ist für uns wichtig, insbesondere im Rahmen der Freiwilligendienste immer wieder mit jungen Leuten in Kontakt zu kommen und so auch etwas für den Nachwuchs zu tun. 40 Prozent aller unserer Auszubildenden sind ehemalige Freiwillige. Der Freiwilligendienst ist natürlich keine zwingende Eintrittskarte, um bei uns einen Ausbildungsplatz zu erhalten. Aber wir sind stolz, wenn Freiwillige als Auszubildende, duale Studenten oder nach dem Studium wieder zu uns zurückkommen.
Wie stehen Sie zur Forderung eines verpflichtenden Freiwilligendienstes für alle jungen Menschen in Deutschland?
Gisela Joelsen: Interessant ist, dass unsere Freiwilligen zu Beginn ihres Dienstes eine solche Pflicht teils vehement ablehnen. Haben Sie den Dienst jedoch absolviert, stehen sie dem nicht mehr so kritisch gegenüber und fordern viel eher eine Pflicht für alle. Ich selbst bin gegen einen verpflichtenden Dienst. Nicht jeder ist für diese Art der Aufgaben geeignet. Man braucht Menschen, die motiviert sind, sich den Herausforderungen im sozialen Bereich zu stellen. Zwang ist nicht der richtige Weg für gesellschaftliches, soziales Engagement. Viel wichtiger ist es, den Dienst in gewisser Weise gesellschaftsfähiger zu machen und durch Anreize mehr Menschen für einen solchen sozialen Dienst zu gewinnen.
Sie interessieren sich für einen Freiwilligendienst in der Augustinum Gruppe? Unter augustinum.de/stellenportal finden Sie die aktuellen Ausschreibungen für Herbst 2020.
Auf der evangelischen Freiwilligenbörse www.ein-jahr-freiwillig.de können Interessierte zudem die eigene Wunscheinsatzstelle finden. Weitere Informationen für Interessenten und auch für Träger, die Einsatzstelle werden wollen, gibt es hier: www.ev-freiwilligendienste.de
Zur Person
Gisela Joelsen
Die studierte Pädagogin ist seit 2015 die Leiterin der Augustinum Freiwilligendienste. Zuvor war sie bereits für mehr als zwei Jahrzehnte als Bildungsreferentin für die Freiwilligendienste bei der evangelischen Jugend München tätig.
Über das Augustinum
Mehr als 5.300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter arbeiten beim Augustinum in ganz Deutschland. Zur Augustinum Gruppe zählen 23 Seniorenresidenzen, zwei Sanatorien für Menschen mit Demenz, eine Fachklinik für Innere Medizin, Einrichtungen für Menschen mit Behinderung, Schulen und Internate.
Weitere Informationen finden Sie auf der Webseite: www.augustinum.de