Freiwilligendienste: Ein Gewinn hoch 3
Freiwilligendienste sind eine einmalige Erfolgsgeschichte. Davon profitieren junge Menschen und soziale Einrichtungen genauso wie die Gesellschaft im Ganzen. Maria Loheide, Sozialvorständin der Diakonie Deutschland, warnt vor folgenschweren Kürzungen.
In Deutschland leisten jährlich rund 100.000 Menschen einen Freiwilligendienst. Das sind ca. zehn Prozent aller Schulabsolvent:innen. Die Idee und Umsetzung eines Freiwilligendienstes wurde übrigens 1954 von der Diakonie unter dem Namen „Diakonisches Jahr“ auf den Weg gebracht. Die Freiwilligen werden in allen Bereichen der sozialen Arbeit eingesetzt, wobei sie sich ihre Einsatzstelle selbst aussuchen.
Für die meist jungen Menschen ist der Freiwilligendienst eine wertvolle Erfahrung: Sie erleben Anerkennung und Selbstwirksamkeit, profitieren vom Einblick in die praktische Arbeit. Und sie nutzen das freiwillige Jahr meist für ihre eigene berufliche Orientierung. „Der Freiwilligendienst hat mich sehr bereichert, er war der Game-Changer in meinem Leben“, kommentiert der 19-jährige Finn-Luca seine Erfahrung.
Die Träger und Zentralstellen unterstützen die Freiwilligen mit ihren pädagogischen Angeboten. Während des Dienstes sind sie sozialversichert, erhalten ein Taschengeld und haben einen Urlaubsanspruch.
Frischer Wind
Die Einsatzstellen – vom Kindergarten bis zur Altenhilfeeinrichtung – profitieren von dem frischen Wind, der Zeit und dem Engagement der Freiwilligen. In den Einrichtungen und Diensten sind sie wichtige „helfende Hände“ und geben manche hilfreiche Anregung für den Alltagsablauf und für die interne Organisationsentwicklung. Und ganz wichtig: Die Freiwilligen bekommen einen Einblick in soziale Berufe und entwickeln eine große Wertschätzung für diese Arbeit. Oft entscheiden sie sich im Anschluss für eine Ausbildung oder eine Tätigkeit im sozialen Bereich
oder engagieren sich weiterhin ehrenamtlich.
Zusammenhalt
Freiwilligendienste bringen Menschen unterschiedlichen Alters und unterschiedlicher Herkunft zusammen und ermöglichen vielen Menschen Teilhabe und Mitsprache. Das stärkt den gesellschaftlichen Zusammenhalt und ist gut für unsere Demokratie.
Folgenschwere Kürzungen abwenden
Mit ihren drastischen Sparplänen gefährdete die Bundesregierung zunächst diese Erfolgsstory. Die Förderung der Freiwilligendienste sollte im Jahr 2024 um insgesamt 78 Millionen Euro und im Jahr 2025 um weitere 35 Millionen Euro gekürzt werden. Wären die Kürzungen so umgesetzt worden, hätten viele Einsatzplätze nicht mehr besetzt werden können. Das wäre in mehrfacher Hinsicht kontraproduktiv:
- Die Kürzungen bei den Freiwilligendiensten träfen vor allem junge Menschen, für die diese Bildungs- und Orientierungszeit oft eine wichtige Richtungsentscheidung im Leben ist.
- Die Kürzungen wären für die Einsatzstellen eine große Herausforderung, denn viele zusätzliche Angebote in den Einrichtungen würden künftig wegfallen. Dazu gehören zum Beispiel Ausflüge, Gesellschaftsspiele oder der Besuch von Veranstaltungen.
- Eine Einschränkung der Freiwilligendienste würde den Fachkräftemangel weiter verschärfen. Die Erfahrungen zeigen, dass die persönliche Erprobungszeit in den sozialen Arbeitsfeldern dazu führt, dass rund zwei Drittel der jungen Menschen auch nach ihrem Freiwilligendienst im sozialen Bereich engagiert bleiben und ungefähr die Hälfte einen sozialen Beruf anstreben.
Der Bundestag plant mit Beschluss des Bundeshaushalts 2024 die drastischen Kürzungen im Bereich der Freiwilligendienste zurückzunehmen. Der gemeinsame, starke Einsatz der Wohlfahrtsverbände und unser Engagement als Diakonie Deutschland haben zu einer erfreulichen Kurskorrektur geführt. Das ist ein Erfolg.
Allerdings sind die Verhandlungen zum Bundeshaushalt 2024 noch immer nicht abgeschlossen (Stand: 23. November 2023). Weiterhin bleibt offen, wie sich das Karlsruher Haushaltsurteil auf das Budget im kommenden Jahr auswirkt. Unsicher ist außerdem die zukünftige Finanzierung der Freiwilligendienste ab 2025. Das heißt, wir müssen weiter das Gespräch suchen. Denn: Wer heute kürzt, zahlt morgen drauf!
Freiwillig heißt freiwillig
Den Ansatz einer allgemeinen Dienstpflicht (auch „Gesellschaftsoder Deutschlandjahr“ genannt), für den sich Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und auch der VdDD einsetzen, halte ich für einen Irrweg. Wir sollten allen jungen Menschen, die ein Freiwilligenjahr in Betracht ziehen, auch einen Platz anbieten können. Die Freiwilligkeit und persönliche Überzeugung müssen dabei entscheidend sein. Statt einer Dienstpflicht brauchen wir bessere Rahmenbedingungen und weitere Anreize, wie zum Beispiel die kostenlose Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs oder Anerkennungszeiten für Studium oder Ausbildung. Nicht zuletzt würde eine Dienstpflicht enorme Kosten von jährlich ca. 14 bis 17 Milliarden Euro auslösen, wenn für alle Schulabsolvent:innen (jährlich ca. 350.000 bis 400.000) auch eine Einsatzstelle eingerichtet werden müsste.
Hinweis der Redaktion
Dieser Gastbeitrag erschien zunächst am 17. 11. 2023 im VdDD-Magazin "diakonie unternehmen" (Ausgabe 02 | 2023). Die Online-Version wurde um den aktuellen Stand der Budgetplanungen für den Freiwilligendienst ergänzt.
Zur Person
Maria Loheide ist Sozialvorständin der Diakonie Deutschland.