Es ist nicht ganz einfach, Freiwilligendienste für Geflüchtete anzubieten. Das Evangelische Diakonissenhaus Berlin Teltow Lehnin nimmt den Mehraufwand gerne in Kauf. Warum, schildert die Referentin für Freiwilligendienste Birgit Mathissen.

Manche kommen aus dem Iran und Syrien, andere aus Afghanistan und Kambodscha – in den Einrichtungen des Diakonissenhauses leisten seit einigen Jahren Geflüchtete einen Bundesfreiwilligendienst. Wie kam es dazu? 

Birgit Mathissen: Im Jahr 2016 gab es ein Sonderprogramm des Bundesfreiwilligendienstes, speziell für Freiwillige mit Fluchthintergrund. Wir haben uns beteiligt und sehr positive Erfahrungen gemacht. Als das Programm Ende 2018 auslief, fühlten wir uns als Unternehmen verpflichtet, diese Arbeit trotzdem fortzuführen. Nur weil ein Programm wegfällt, heißt das ja nicht, dass es keine Geflüchteten mehr gibt, die Interesse an freiwilliger sozialer Arbeit haben. Es ist zwar etwas aufwendiger, Plätze für Geflüchtete anzubieten, aber wir haben einen Weg gefunden.

Welchen Mehraufwand gibt es?

Birgit Mathissen: Menschen mit Fluchthintergrund brauchen eine intensivere Begleitung. Diejenigen, die zu uns kommen, sind im Schnitt seit 3 Jahren in Deutschland und leben teilweise noch in einer Gemeinschaftsunterkunft. Sie müssen sich erst noch zurechtfinden, suchen in vielen Fragen Orientierung. Manche haben einen geringen oder gar keinen Bildungsabschluss. Auch gibt es oft noch sprachliche Barrieren, so dass man sich mehr Zeit nehmen muss. Für die zusätzlichen Seminartage und die intensivere Begleitung der Freiwilligen beantragen wir spezielle Fördergelder, was natürlich administrativ etwas Mehraufwand bedeutet. Wir finanzieren den Freiwilligen auch einen Sprachkurs, den sie neben ihrer Tätigkeit in den Einsatzstellen besuchen können.

"Sie geben viel zurück"

Gibt es rechtliche Hürden für Menschen aus Drittstaaten?

Birgit Mathissen: Die Freiwilligen brauchen zumindest eine Aufenthaltsgestattung. Das heißt, sie können auch dann anfangen, wenn ihr Antrag auf Asyl noch nicht genehmigt ist. Allerdings muss von der Ausländerbehörde eine Arbeitserlaubnis oder Tätigkeitserlaubnis für einen Freiwilligendienst vorliegen, bevor jemand bei uns anfangen darf.

Warum lohnt sich dieser bürokratische Mehraufwand?

Birgit Mathissen: Wir machen das aus verschiedenen Gründen. Wir wollen für diese Menschen etwas tun. Wir wollen, dass sie hier ankommen, sich orientieren können, eine Perspektive für sich entwickeln. Gleichzeitig geben sie unglaublich viel zurück mit ihrem freiwilligen Engagement. Sie sind in der Regel hochmotiviert. Und unseren Einrichtungen tut die Diversität gut. Es ist eine Bereicherung, mit Menschen zu arbeiten, die eine andere Geschichte haben, aus einem anderen Kontext kommen. Außerdem gefällt es manchen der Freiwilligen bei uns so gut, dass sie auch nach dem Freiwilligendienst bei uns bleiben. Wir freuen uns natürlich, wenn wir auf diesem Weg neue Mitarbeitende gewinnen können. 

"Das gibt großes Selbstbewusstsein"

Welche Möglichkeiten gibt es, um nach dem Freiwilligendienst bei Ihnen anzufangen?
Birgit Mathissen: Wir geben uns viel Mühe, für unsere Freiwilligen eine Anschlussperspektive  zu finden. In einigen unserer Einrichtungen können sie als Nicht-Fachkraft anfangen, etwa in Wohnstätten für Menschen mit Behinderungen. Und wir haben einige, die im Anschluss bei uns eine Ausbildung zum Pflegehelfer oder zur Pflegefachkraft beginnen. Das ist natürlich schön zu sehen und ein großer Erfolg.

Gibt es jemanden, dessen Werdegang Ihnen besonders in Erinnerung geblieben ist?

Birgit Mathissen: Wir haben derzeit einen jungen Mann aus Syrien, der anfangs sehr unsicher war. Man hatte ihm den Freiwilligendienst empfohlen, aber er wusste noch nicht so recht, was er davon halten soll. Er fing seinen Dienst bei uns im Krankenhausbereich an und hat dann sehr vom Austausch mit der Seminargruppe profitiert, in der Freiwillige mit und ohne Fluchtgeschichte gemeinsam lernen. Die Kontakte zu den anderen geben ein großes Selbstbewusstsein. Das erlebe ich immer wieder. Man sieht, wie junge Menschen in den 18 Monaten des Freiwilligendienstes stark an Selbstsicherheit gewinnen. Sie bekommen eine Idee, wie sie ihr Leben hierzulande selbst gestalten können. Inzwischen macht der junge Mann aus Syrien eine Ausbildung zum Krankenpflegehelfer und ich denke, er ist so fit und motiviert, dass er noch die größere Ausbildung zum Krankenpfleger draufsetzt.

Wie ist das Feedback, dass Sie von den Geflüchteten bekommen?

Birgit Mathissen: Wenn Menschen dauerhaft bei uns bleiben, zeigt das ja auch, dass sie sich bei uns wohl fühlen und hier ihre Zukunft sehen. Das liegt sicher auch an der intensiven Betreuung. Es wird regelmäßig telefoniert, um zu hören, wie es geht, ob es Fragen und Probleme gibt, wir sind da sehr nah dran. Aber wir haben natürlich auch Abbrüche zu verzeichnen, wenn sich herausstellt, dass eine Tätigkeit, zum Beispiel in der Pflege, einfach nicht zum Freiwilligen passt. Das ist ganz normal und kommt bei Freiwilligen ohne Fluchtgeschichte genauso vor. Der Freiwilligendienst soll es ja eine Zeit des Ausprobierens und der Orientierung sein.

Wie machen Sie Ihr Programm bei der Zielgruppe bekannt?

Birgit Mathissen: Das geht vor allem über Mund zu Mund Propaganda. Wir haben einige Freiwillige, die diese Möglichkeit in ihren sozialen Netzwerken kommunizieren, oder die uns jemanden empfehlen. Und wir gehen auch viel über die Ehrenamtskreise, die sich in der Flüchtlingsarbeit engagieren und suchen den Kontakt zu den Willkommensklassen. 

"Alle werben um die jungen Menschen"

Spielt die Herkunft der Freiwilligen für die Bewohner Ihrer Einrichtungen eine Rolle?

Birgit Mathissen: Ich glaube, da wird kein großer Unterschied gemacht. Bei den Älteren habe ich das Gefühl, da gibt es eine große Neugier, wo kommt der andere her, was hat er früher erlebt. Für die Kinder in den Kitas spielt die Herkunft keine Rolle. Probleme gab es noch nicht.

Ist es in den vergangenen Jahren eigentlich schwieriger geworden, Freiwillige zu gewinnen?

Birgit Mathissen: Ja das nehmen wir so wahr. Ich habe das Gefühl, alle werben stark um die jungen Menschen, die aus der Schule kommen – Ausbildungsbetriebe, Universitäten und wir eben auch. Mit Corona ist eine große Verunsicherung dazugekommen. Viele junge Menschen, die jetzt am Übergang stehen, wissen nicht, welche Wege noch offenstehen und welche nicht. Die Bewerberzahlen für unsere Freiwilligendienste sinken zwar nicht dramatisch, aber in der Tendenz schon. Wir reagieren darauf, indem wir zum Beispiel stärker über die sozialen Medien werben und bei Orientierungstagen an den Schulen präsent sind.  

Anfang 2020 stand die Wiedereinführung eines Pflichtdienstes zur Debatte. Für manche soll ein solcher Pflichtdienst auch die Integration fördern. Was halten Sie davon?

Birgit Mathissen: Wir halten davon nichts. Wir haben sehr gute Erfahrungen mit Menschen, die sich freiwillig für den sozialen Dienst entscheiden. Diese Freiwilligkeit ist ganz entscheidend, damit die Zusammenarbeit gut funktioniert. Ich kann mir auch im Sinne unserer Bewohner nicht vorstellen, Menschen dazu zu zwingen, ihnen zu helfen. Da sollten schon die eigene Bereitschaft und das Interesse da sein, der Gesellschaft etwas zurückgeben zu wollen.

Über das Evangelische Diakonissenhaus Berlin Teltow Lehnin

Das Evangelische Diakonissenhaus Berlin Teltow Lehnin ist ein diakonischer Unternehmensverbund mit Standorten in Berlin und Brandenburg. Schwerpunkte der Arbeit sind das Gesundheitswesen, die Altenhilfe sowie die Bereiche Teilhabe und Bildung. Mit mehr als 2.300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ist der Unternehmensverbund einer der größten Arbeitgeber in der Region.

Regelmäßig sucht das Diakonissenhaus Freiwillige – ob im Rahmen eines Freiwilligen Sozialen Jahres oder eines Bundesfreiwilligendiensts. Mehr Informationen finden Sie hier.

Zur Person

Birgit Mathissen 

Die studierte Diplom-Pädagogin ist seit 2011 Referentin Freiwilligendienste des Evangelischen      Diakonissenhauses Berlin Teltow Lehnin. Zuvor war sie als Jugendmitarbeiterin in verschiedenen Bereichen tätig. Ihre Begeisterung für die Freiwilligendienste stammt von den Erfahrungen aus dem eigenen Freiwilligendienst, den Frau Mathissen nach dem Abitur leistete.