Klimaschutz in der Sozialwirtschaft: Je später, desto teurer für die Allgemeinheit
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Nichtstun beim Klimaschutz droht soziale Dienste zu verteuern
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Strategietagung Nachhaltigkeit in Berlin berät über Klimawende im Sozialwesen
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Forderung: EU-Taxonomie um soziale Nachhaltigkeit ergänzen
Unternehmen der Gesundheits- und Sozialwirtschaft können Treibhausgasemissionen in hohem Umfang vermeiden, indem sie ihre Gebäude wie Kitas und Pflegeheime energetisch sanieren. Bleiben die Sanierungen jedoch aus, wird das für die Allgemeinheit von Jahr zu Jahr teurer. Der Hintergrund: Ab 2027 greift der europäische Emissionshandel für den Gebäudesektor. Auch die Betreiber von Sozialimmobilien müssen dann für jede verursachte Tonne den CO2-Preis bezahlen, der absehbar ansteigen wird. Für die Mehrkosten aufkommen müssen letztlich die Pflegebedürftigen, die Sozialkassen oder die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler.
Auf ihrer 3. Strategietagung Nachhaltigkeit am 11. und 12. Mai in Berlin forderten die Diakonie Deutschland, der Verband diakonischer Dienstgeber in Deutschland (VdDD), Eurodiaconia und die Bank für Kirche und Diakonie (KD-Bank) die Europäischen Institutionen, den Bund und die Länder auf, Investitionen in nachhaltige Sozialimmobilien zügig zu ermöglichen.
Das Gesundheits- und Sozialwesen werde durch die aktuellen Rahmenbedingungen daran gehindert, seine Klimaschutzpotenziale auszuschöpfen. Dies gelte im Gebäudebereich genauso wie bei der Verpflegung. Ein Hemmnis sei die einseitige Ausrichtung des Sozialrechts auf Zweckmäßigkeit, Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit, während das Kriterium der Nachhaltigkeit fehle. Das führe zu der paradoxen Situation, dass zum Beispiel Träger eines Pflegeheimes zwar hohe Energiekosten erstattet bekommen, jedoch bei Modernisierungen im Sinne des Klimaschutzes und geringerer Energiekosten weitestgehend allein dastehen. In der Frage, wie nachhaltige soziale Dienste zu refinanzieren sind, finde zwischen den zuständigen Bundesministerien, den Ländern und den Kommunen bislang ein „Ping Pong“-Spiel statt.
Diakonie-Präsident Ulrich Lilie: „Nachhaltigkeit muss in den Sozialgesetzbüchern verankert werden, damit die dringend notwendigen Investitionen unserer Träger und Einrichtungen in den Klimaschutz von den Kostenträgern refinanziert werden. Die Bundesregierung kann ihre Klimaziele nur mit der Sozialwirtschaft erreichen. Der Gebäudesektor hinkt beim Klimaschutz weit hinterher. Die energetische Sanierung von Sozialimmobilien schützt das Klima, senkt den Energiebedarf und spart damit Kosten. Wir wollen klimaneutral werden, brauchen dafür aber eine gesetzliche Grundlage.“
Andreas Theurich, VdDD: „Soziale und ökologische Nachhaltigkeit sind Teil der DNA diakonischer Unternehmen und stets gemeinsam zu denken. Wir müssen nicht nur, wir wollen schnellstmöglich klimaneutral wirtschaften. Je früher der Gesetzgeber die Rahmenbedingungen dafür schafft, desto schneller und wirksamer können wir in unseren Unternehmen an die Umsetzung gehen.“
Forderung nach sozialer Taxonomie
Im Fokus der Tagung mit rund 120 Teilnehmenden stand der European Green Deal, der den Rahmen für die ökologische Transformation setzt. Zu den Gastrednern gehörten Nicolas Schmit, EU-Kommissar für Beschäftigung und soziale Rechte, sowie Vertreterinnen und Vertreter des Bundesumweltministeriums, des Bundesgesundheitsministeriums und des Bundesarbeitsarbeitsministeriums.
Ein europäischer Ansatz ist die grüne Taxonomie, die Finanzierungsmittel in nachhaltige Investitionen lenkt. Banken und andere Investoren müssen inzwischen darlegen, in welchem Maß ihre kreditfinanzierten Investitionen Nachhaltigkeitskriterien genügen. Die Veranstalter forderten, das Instrument um eine soziale Taxonomie zu ergänzen. Diese würde dazu führen, dass Investitionen in soziale Dienstleistungen zunehmen und sich für die Sozialwirtschaft günstigere Kreditmöglichkeiten ergeben.
Jörg Moltrecht, Vorstand KD-Bank: „Die EU-Taxonomie muss noch um die soziale Nachhaltigkeit ergänzt werden, da sonst ökologische und soziale Fragen gegeneinander ausgespielt werden. Wenn es bei der aktuellen ´grünen´ EU-Taxonomie bleibt, wird der Sozialwirtschaft der Zugang zu Krediten erheblich erschwert und verteuert. Damit Sozialunternehmen ihre wertvolle gesellschaftliche Verantwortung in Zukunft wahrnehmen können, brauchen sie auch Finanzierungssicherheit für ihre nachhaltigen Investitionen. Diese ist in den einschlägigen Refinanzierungsbedingungen derzeit nicht erkennbar.“
Heather Roy, Generalsekretärin Eurodiaconia: „Die Sozialwirtschaft, einschließlich gemeinnütziger Sozialunternehmen, brauchen den richtigen gesetzlichen und finanziellen Rahmen, um am grünen Wandel teilhaben zu können. Dazu zählen beispielsweise Bürokratieabbau im Rahmen von EU-Förderprogrammen, Erleichterungen bei den EU-Beihilfevorschriften für Daseinsvorsorgedienstleistungen, eine Stärkung der Rolle sozialer, ökologischer und qualitativer Kriterien in der öffentlichen Auftragsvergabe, und mehr Anreize für Investitionen in soziale Dienstleistungen, zum Beispiel durch eine soziale Taxonomie.“
Hintergrund
Die Diakonie hat sich das Ziel gesetzt, Klimaneutralität bereits bis 2035 zu erreichen, statt wie von der EU vorgegeben bis 2050. Allein durch energetische Sanierungen und klimafreundliche Neubauten in der Gesundheits- und Sozialwirtschaft können schätzungsweise jährliche Klimaschadenskosten von bis zu 9,8 Milliarden Euro vermieden werden, wie eine Studie der Projektgruppe „Kamel und Nadelöhr“ zeigt. Der entsprechende Investitionsbedarf wird auf 65 Milliarden Euro (ohne den Krankenhausbereich) geschätzt.
Weitere Informationen
Vorschläge für eine emissionsarme Sozialwirtschaft finden Sie im Konzeptpapier „Vier Schritte zur emissionsfreien Gesundheits- und Sozialwirtschaft“ (November 2022) haben Expertinnen und Experten aus der Diakonie sowie von branchennahen Institutionen mit Wirtschaftswissenschaftlern erarbeitet. Das Konzeptpapier können Sie hier in der Langfassung als PDF herunterladen und hier in einer Kurzfassung als PDF
Pressekontakte
Kathrin Klinkusch, Pressesprecherin Diakonie Deutschland, Tel.: +49 30 65211-1780, E-Mail: kathrin.klinkusch(at)diakonie.de, www.diakonie.de
Elisabeth Illius, Pressereferentin, Bank für Kirche und Diakonie eG - KD-Bank, Tel.: +49 231 58444-192, E-Mail: elisabeth.illius(at)kd-bank.de, www.kd-bank.de
Donata Cagnato, Communications and Membership Engagement Officer, Eurodiaconia, Tel.: +32 2 234 38 60, E-Mail: donata.cagnato(at)eurodiaconia.org, www.eurodiaconia.org
Über die Veranstalter
Die Diakonie Deutschland ist der Dachverband von Mitgliedseinrichtungen mit bundesweit 33.000 ambulanten und stationären Diensten wie Pflegeheimen und Krankenhäusern, Beratungsstellen und Sozialstationen in denen fast 600.000 Menschen hauptberuflich arbeiten.
Die Bank für Kirche und Diakonie (KD-Bank) zählt zu den 30 größten Genossenschaftsbanken Deutschlands. Seit ihrer Gründung durch die evangelische Kirche im Jahr 1925 vergibt sie Darlehen an kirchliche und diakonische Einrichtungen, damit diese ihre sozialen Aufgaben wahrnehmen können. Auf der Basis christlicher Werte unterstützt sie Neubau- und Sanierungsprojekte in der Altenpflege, im Gesundheitswesen, der Kinder- und Jugendhilfe, in den Bereichen Bildung, lebendiges Gemeindeleben und bezahlbarer Wohnraum. Darüber hinaus berät sie die institutionellen Kunden zu Geld- oder Vermögensanlagen. Privatpersonen, die sich zu den Werten der Bank bekennen, gehören ebenfalls zu ihrem Kundenstamm.
Eurodiaconia ist ein europäisches Netzwerk von 58 Kirchen und christlichen NGOs, die Sozial- und Gesundheitsdienste leisten und sich für soziale Gerechtigkeit einsetzen.
Der Verband diakonischer Dienstgeber in Deutschland e.V. (VdDD) vertritt als diakonischer Bundesverband die Interessen von rund 200 Mitgliedsunternehmen und sieben Regionalverbänden mit mehr als 560.000 Beschäftigten. Schwerpunkte der Verbandsarbeit sind die Weiterentwicklung des kirchlich-diakonischen Tarif- und Arbeitsrechts, Themen aus Personalwirtschaft und -management sowie die unternehmerische Interessenvertretung.