Es braucht endlich den Mut für eine grundlegende Pflegereform. Ein Standpunkt von Dr. Ingo Habenicht, VdDD-Vorstandsvorsitzender.

Vor 30 Jahren beschloss der Bundestag die Einführung der Pflegeversicherung. Die Grundidee ist begrüßenswert: Die Gemeinschaft finanziert solidarisch die Aufwendungen der Pflegebedürftigen. Doch die Realität drei Jahrzehnte nach der Einführung zeigt: Das bisherige Modell bedarf dringend einer Überarbeitung.

  • Das Finanzierungssystem sollte den unterschiedlichen Lebensmodellen Rechnung tragen. Wir sollten eine ehrliche Diskussion führen, welche Basisleistungen wir gesamtsolidarisch auffangen und finanzieren wollen und was darüber hinaus geht.
  • Die starre Trennung zwischen stationärer und ambulanter Pflege ist zu unflexibel. Wir brauchen ein System, das Raum für Innovation bietet und die Sektoren überwindet. Ein dritter „stambulanter“ Sektor würde hingegen mehr Probleme schaffen als lösen.
  • Pflegebedürftige und ihre Angehörigen sind Teil der Gesellschaft. Nicht nur angesichts des Personalmangels sind Modelle gefragt, die besser als bisher die gelebte Solidarität im direkten sozialen Umfeld mobilisieren und verstärken. Die Einbindung von Angehörigen und Ehrenamtlichen muss klarer geregelt und intensiver gefördert werden, um das gesamtgesellschaftliche Potenzial zu heben und den Zusammenhalt zu stärken. Zudem reichen die bisherigen Anpassungen zur Deckelung der Eigenbeiträge nicht aus.
  • Wir müssen die digitalen Möglichkeiten nutzen und weiterentwickeln. Digitalisierung bietet die Chance, mehr Raum für menschliche Zuwendung zu haben – was Investitionen und Qualifizierungen erfordert. 

Die gesetzlichen Nachbesserungen, die über die Zeit verabschiedet wurden, wirken derzeit nicht mehr als ein Flickenteppich. Erschwerend kommt hinzu, dass im Zuge des Sparzwangs der Bundesregierung der Bundeszuschuss für versicherungsfremde Leistungen bis 2027 gestrichen wurde. Deshalb braucht es endlich den Mut für eine grundlegende Reform, damit Unternehmen langfristig planen können, um die Pflegebedürftigen von morgen zuverlässig versorgen zu können. 

Zur Person

Dr. Ingo Habenicht ist Vorstandsvorsitzender des Verbandes diakonischer Dienstgeber (VdDD). Der Verband vertritt die Interessen von mehr als 190 diakonischen Unternehmen mit rund 592.000 Beschäftigten.

HinweisDieser Text ist zunächst am 17. Mai 2024 im Magazin CAREkonkret, Ausgabe 20, erschienen.