Teamwork & Erneuerung - Positionen zur Wahl

Was müssen die neue Bundesregierung und der neue Bundestag angehen, damit das Gesundheits- und Sozialwesen zukunftsfest wird? Der VdDD fordert unter anderem leichtere Ein- und Umstiege in soziale Berufe sowie eine Erneuerung der Sozialsysteme. Die Positionen im Überblick.
Einleitung
Der Sozialstaat steht vor großen Aufgaben. Hunderttausende Menschen aus dem In- und Ausland sind für soziale Berufe zu gewinnen. Die Sozialsysteme müssen zukunftsfest werden. Soziale Dienste und Einrichtungen brauchen eine Runderneuerung in Punkto Digitalisierung und Nachhaltigkeit. Zugleich sind die Stärken der Zivilgesellschaft und des Dritten Sektors zu bewahren und neu zu entfalten.
Im Vorfeld der Bundestagswahl am 23. Februar 2025 hat der VdDD fünf politische Prioriäten und Positionen formuliert (PDF-Version). Zu den VdDD-Forderungen zählen leichtere Einstiege in soziale Berufe, eine Modernisierung des Arbeitsrechts, Innovationsbudgets und ein soziales Pflichtjahr. Ein Kernanliegen: Der Berufseinstieg für Auszubildende und Arbeitskräfte aus dem Ausland und für geflüchtete Menschen ist zu erleichtern. Bei der Wahl geht es auch um das Grundsätzliche: Ob bei Integration, Schulden oder Rente - eine verantwortungsvolle Politik sucht und stärkt den Zusammenhalt. Hier geht es zur Pressemitteilung.

"In jedem Krankenhaus und jedem Pflegeheim arbeiten Menschen verschiedener Kulturen, Generationen und Orientierungen zusammen. Stimmen wir Ende Februar für Parteien, die auch gesamtgesellschaftlich auf Teamwork setzen – statt Gruppen gegeneinander auszuspielen.“
Dr. Ingo Habenicht, VdDD-Vorstandsvorsitzender
Evangelisches Johanneswerk
Inhalt
Neue Mitarbeitende
Sozialsysteme erneuern
Nachhaltig & digital
Füreinander einstehen
Kraft der Zivilgesellschaft nutzen
Neue Mitarbeitende
Leichtere Einstiege | Konsequente Willkommenskultur
Der Personalmangel ist eine der drängendsten Herausforderungen des Gesundheits- und Sozialwesens. Wir müssen das Potenzial an neuen Mitarbeitenden aus dem In- und Ausland, aus anderen Branchen und aus der „stillen Reserve“ voll ausschöpfen. Essenziell ist zudem die nachhaltige Personalbindung. Dafür braucht es mutige Reformen bei den Sozial- und Gesundheitsberufen, eine konsequente Willkommenskultur, weniger Einstiegshürden und ein flexibleres Arbeitsrecht. Das Image sozialer Berufe ist zu stärken.
Eine Arbeitskräftestrategie für das Gesundheits- und Sozialwesen sollte konkret:
- das Arbeitsrecht modernisieren. Zu ermöglichen sind passgenaue Arbeitszeitmodelle im Schichtdienst sowie ein besseres Dienstplan- und Ausfallmanagement in den Einrichtungen. Beides steigert die Attraktivität von Sozial- und Gesundheitsberufen. Hierfür sind insbesondere Höchstarbeitszeit und Ruhezeit im Arbeitszeitgesetz praxisgerecht anzupassen und die Arbeitnehmerüberlassung zwischen Sozialunternehmen und innerhalb von Konzernverbünden zu vereinfachen.
- den Berufseinstieg für Auszubildende und Arbeitskräfte aus dem Ausland und für geflüchtete Menschen erleichtern. Wir brauchen beschleunigte, einheitlichere Aufenthalts- und Anerkennungsverfahren. Es sind Möglichkeiten zu eröffnen, gegebenenfalls über den Neueinstieg in eine Berufstätigkeit einen Aufenthaltsstatus zu erwerben (erweiterter Spurwechsel). Das betriebliche Integrationsmanagement und die Sprachförderung brauchen eine geeignete Refinanzierung.
- das Gesundheits- und Sozialwesen für weitere Berufe und Qualifikationen öffnen. Die Personalvorgaben sind weiterzuentwickeln, um eine breitere Palette an Berufsbildern und Qualifikationsniveaus zu erschließen (Qualifikations-Mix horizontal und vertikal ausdifferenzieren). Für Quereinstiege aus Branchen, in denen absehbar Arbeitsplätze wegfallen, braucht es ein gezieltes Umschulungsangebot.
-
für den Qualifikations-Mix, insbesondere in der pädagogischen Arbeit, eine wissenschaftliche Grundlage schaffen (analog zur Pflege).
-
Reformen konsequent zu Ende führen, insbesondere die Neugestaltung der Pflegeausbildung, der Pflegekompetenz sowie der Heilerziehungspflegeausbildung und –anerkennung.

„Individuelle Arbeitszeitmodelle und ein gutes Dienstplan-management machen soziale Arbeit im Schichtdienst attraktiver. Gesundheits- und Sozialunternehmen brauchen hierfür mehr Gestaltungsspielraum. Das Arbeitsrecht ist zu modernisieren, insbesondere die Vorgaben zur Arbeitszeit.“
Dr. Gundula Grießmann, VdDD-Vorständin
Evangelisches Diakonissenhaus Teltow

„Ohne neue Mitarbeitende aus dem Ausland ist die Versorgung mit sozialen Diensten in Deutschland nicht zu sichern. Die Politik muss alle Register ziehen. Wir brauchen eine echte Willkommenskultur, schnelle Aufenthalts- und Anerkennungsverfahren, Sprachförderung und Integrationsmanagement.“
Frank Stefan, VdDD-Vorstand
Diakonie Kork

"Viele Branchen erleben Strukturwandel und Arbeitsplatzabbau. Die Politik sollte Menschen systematisch den Neuanfang in sozialen Berufen ermöglichen, wo sie dringend gebraucht werden. Dazu gehört auch, das Gesundheits- und Sozialwesen für weitere Berufe und Qualifikationen zu öffnen."
Christoph Dürdoth, VdDD-Vorstand
Johannesstift Diakonie
Sozialsysteme erneuern
Mehr Pragmatismus | Mehr Effizienz | Weniger Bürokratie
Die Sozialsysteme brauchen eine durchdachte und nachhaltige Weiterentwicklung – sie müssen „smarter“ werden. Unnötige Bürokratie- und Verwaltungsausgaben sind systematisch zu erfassen und abzubauen. Hinderliche Versäulungen, die zu Über- und Unterversorgungen sowie zur Verschwendung von Ressourcen führen, sind zu überwinden. Leitend sollte der Gedanke sein, Leistungen konsequent an den Bedürfnissen der Menschen auszurichten.
Folgendes sollte der neue Bundestag angehen:
- Die Sozialgesetzbücher (SGB) sind einem breiten Bürokratie- und Praxis-Check zu unterziehen. Es gilt, Ineffizienzen und Überregulierungen abzubauen.
- Zu einer grundlegenden Vereinfachung zählt eine Neuziehung der sogenannten SGB-Grenzen. Die Schubladenlogik der SGB hat sich überholt. Aufzuheben ist insbesondere die strukturelle Trennung von ambulanter und stationärer Versorgung. Gefragt sind am Bedarf orientierte individuelle Hilfe-Settings.
- Allgemeine Dokumentations- und Berichterstattungspflichten sind zeitnah und pragmatisch auf ein Mindestmaß zu reduzieren. Dies beinhaltet auch Engagement für weniger regulatorische Vorgaben auf EU-Ebene. Eine Übererfüllung von EU-Richtlinien (sogenanntes Gold-Plating) ist zu vermeiden.
- Ein Schlüssel für die künftige Versorgung mit sozialen Diensten sind Quartierskonzepte. Diese gilt es zu fördern, damit sie flächendeckend entwickelt und etabliert werden können. So kann das Potenzial an Solidarität im Sozialraum gehoben werden.
- Aus erfolgreichen Ansätzen der Nachbarstaaten sollte systematisch gelernt werden. Zum Beispiel zeigt die Schweiz, wie eine geringere Regulierungsdichte in der Pflege zu besseren Ergebnissen führt.

„Schnell, schlank, digital – Verwaltungsprozesse in der Gesundheits- und Sozialwirtschaft können effizient und einfach sein. Erster Schritt: ein breiter Bürokratie- und Praxis-Check der Sozialgesetzgebung.”
Mandy Köhler, VdDD-Vorständin
Diakonie St. Martin

„Hilfe soll dem Menschen gerecht werden – nicht der Schubladenlogik der Sozialgesetzbücher. Zur Erneuerung der Sozialsysteme muss es gehören, Versäulungen aufzubrechen, insbesondere zwischen ambulant und stationär. Wir brauchen innovative und bedarfsgerechte Hilfesettings.“
Verena Hölken, VdDD-Vorständin
Evangelische Stiftung Hephata
Nachhaltig & digital
Innovationspotenziale heben statt verschenken
Das Gesundheits- und Sozialwesen muss sich tiefgreifend erneuern. Zum einen sind auch soziale Dienste nachhaltiger und klimaneutral zu erbringen. Zum anderen eröffnen die Digitalisierung und Technologien wie KI die große Chance, Menschen besser zu unterstützen und Prozesse effizienter zu gestalten. Der neue Bundestag sollte die Weichen konsequent auf Innovation stellen, diese refinanzieren und Hemmnisse abbauen.
Zu entwickeln ist:
- eine Nachhaltigkeitsstrategie für das Gesundheits- und Sozialwesen. Die nationalen Klimaziele müssen auf den Gesundheits- und Sozialsektor heruntergebrochen und für alle Beteiligten verbindlich gemacht werden. Das Ziel der Nachhaltigkeit ist in den Sozialgesetzbüchern zu verankern (oder der Wirtschaftlichkeitsbegriff weiterzuentwickeln), um eine stabile Refinanzierung von Nachhaltigkeitsmaßnahmen zu sichern. Wichtig sind klare politische Zuständigkeiten für die ökologische Transformation des Sektors, um das heutige Kompetenz-Wirrwarr zu beenden.
- ein geeigneter Rahmen für die Gesundheits- und Sozialwirtschaft, um neue Technologien im Sinne besserer und effizienterer Leistungen zu erproben und einzuführen. Soziale Einrichtungen brauchen Innovations- und Digitalisierungsbudgets.
- eine adäquate Regelfinanzierung digitaler Investitions- und Betriebskosten, insbesondere in der Pflege und im Bereich der digitalen Teilhabe.
- eine finanzielle Kompensation für digitale Technologien, die dabei helfen, den absehbaren Zusatzbedarf an Personal zu lindern (zum Beispiel für den Bereich der Robotik).

"Sozial- und Gesundheitseinrichtungen können erheblich zum Klimaschutz beitragen - mit einer emissionsarmen Energieversorgung, E-Mobilität und nachhaltiger Verpflegung. Der Gesetzgeber muss diesen Wandel ermöglichen - mit klaren Zielvorgaben, Zuständigkeiten und Regelfinanzierung.“
Dietmar Prexl, VdDD-Vorstand
Diakonie Stetten

„Neue Hilfen, neue Therapien, mehr Teilhabe – KI und Robotik können die Gesundheits- und Sozialwirtschaft revolutionieren. Die Politik muss Anreize für den verantwortungsvollen Einsatz schaffen – mit Innovationsbudgets und der Regelfinanzierung digitaler Investitions- und Betriebskosten.“
Dr. Simon Stark, VdDD-Vorstand
v. Bodelschwinghsche Stiftungen Bethel
Füreinander einstehen
Mehr Anerkennung | Mehr Gemeinschaft
Eine verantwortungsvolle Politik erkennt die Erfahrungen, Leistungen und berechtigten Bedürfnisse aller an. Sie fördert das Miteinander, statt Gruppen gegeneinander auszuspielen.
Was den Zusammenhalt stärkt:
- ein klares Bekenntnis zu den Werten des Grundgesetzes, zu Menschenwürde, Inklusion und Teilhabe. Dazu gehört der Schutz unabhängiger Institutionen, demokratischer Prozesse und gemeinnütziger Akteure, auch vor parteipolitisch motivierten Eingriffen.
- eine generationengerechte Rentenpolitik, die Altersarmut verhindert und die Jüngeren nicht überlastet.
- eine Schuldenpolitik, die Spielräume für echte Zukunftsinvestitionen bietet und zugleich staatliche Konsum-Ausgaben zu Lasten späterer Generationen verhindert, damit die neuen Schulden von heute nicht zu den Sozialkürzungen von morgen werden.
- ein sozialer Pflichtdienst, bei dem sich junge Menschen für das Gemeinwohl einsetzen - zum Beispiel in Kitas, Pflegeheimen und Vereinen. Der Dienst für andere kann sinnstiftend sein und in unserer vielfältigen Gesellschaft verbindend wirken.

„Die neue Regierung muss sich nicht nur um die klassische politische Agenda kümmern. Vielmehr steht der Zusammenhalt unserer Gesellschaft im Fokus. Damit meine ich die Werte des Grundgesetzes: Menschenwürde, Vielfalt, Inklusion und Teilhabe sind von entscheidender Bedeutung.“
Constance von Struensee, VdDD-Vorständin
Agaplesion

„Ich wünsche mir eine Gesellschaft, die in ihrer ganzen Vielfalt füreinander einsteht. Ein sozialer Pflichtdienst würde dazu beitragen. Kitas, Pflegeheime und Vereine können die Hilfe dringend brauchen – und für junge Menschen kann der Dienst eine wertvolle Erfahrung sein.“
Johanne Hannemann, VdDD-Vorständin
Diakonie Nord Nord Ost in Holstein
Kraft der Zivilgesellschaft nutzen
Vielfalt sichern | Gemeinnützigkeit fördern
Das Subsidiaritätsprinzip ermöglicht es nicht-staatlichen, gemeinnützigen Trägern wichtige Dienste zu erbringen, von der Kitabetreuung bis zur Krankenhaus-versorgung. Der Dritte Sektor mobilisiert zudem Selbsthilfe, gesellschaftliches und ehrenamtliches Engagement. So sind hilfebedürftige Menschen nicht allein auf staatliche oder gewinnorientierte Dienste angewiesen, sondern können zwischen kulturell und religiös vielfältigen Angeboten wählen.
Zur Stärkung des Dritten Sektors gehört:
- Die tragende Rolle der gemeinnützigen Unternehmen und die Trägervielfalt in der Gesundheits- und Sozialwirtschaft sind anzuerkennen und zu fördern. Weder eine stärkere Verstaatlichung noch eine stärkere Privatisierung geben geeignete Antworten auf die künftigen Herausforderungen.
- Das christliche Profil und das kirchliche Selbstbestimmungsrecht sind zu achten. In der Diakonie führt das kirchliche Arbeitsrecht zu attraktiven Arbeitsbedingungen, einer hohen Tarifbindung und einer starken betrieblichen Mitbestimmung. Die verbindliche Schlichtung bei Konflikten um Arbeitsbedingungen garantiert eine hohe Verlässlichkeit diakonischer Dienste im Sinne der Unterstützungs- und Hilfebedürftigen.
- Der faire Wettbewerb unter den Anbietern sozialer Leistungen ist so auszugestalten, dass die Qualität der Leistung gefördert wird.
- Das EU-Wettbewerbsrecht ist so an die Erfordernisse des Dritten Sektors anzupassen, dass gemeinwohlorientierte Sozialunternehmen nicht behindert werden.

„Subsidiarität ist ein zentrales Element unserer Demokratie und eine Grundstruktur des modernen deutschen Staates. Sie stärkt Teilhabe, Vielfalt und Selbstwirksamkeit: Alles, was vor Ort durch vielfältige Träger und Strukturen geregelt und organisiert werden kann, soll auch dort geschehen.“
Dr. Edda Weise, VdDD-Vorständin
Evangelische Diakoniestiftung Herford

„Von der Kita bis zur Krankenpflege: Die Kirchen bieten für Millionen von Menschen wichtige soziale Dienste. Ihr christliches Profil und Selbstbestimmungsrecht ist zu achten. In der Diakonie sorgen die kirchlichen Regelungen für attraktive Arbeits-bedingungen und eine starke Mitbestimmung.“
Hubertus Jaeger, stv. VdDD-Vorstandsvorsitzender
Deutscher Gemeinschafts-Diakonieverband Stiftung
Ansprechpartner

Alexander Wragge
Referent für digitale Kommunikation und politische Netzwerkarbeit
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