Algorithmische und lernende Systeme lassen sich einsetzen, um mehr Fürsorge, Vorsorge und Teilhabe zu verwirklichen. Für Mitarbeitende aus der Freien Wohlfahrtspflege pilotiert die Bertelsmann Stiftung mit Partner:innen ein Tech-Fellowship. 

In Saerbeck, einer kleinen Gemeinde in Nordrhein-Westfalen, wird die Vergabe von Kitaplätzen seit ein paar Jahren durch ein algorithmisches System unterstützt. Kitaleitungen berichten von der Arbeitsentlastung und Eltern freuen sich über den transparenteren Prozess. Das Integrationsamt in Schleswig-Holstein nutzt für Anfragen unter anderem den Chatbot Ina, der in Leichte Sprache übersetzen kann und somit Hürden für Teilhabe senkt. Beide Beispiele zeigen, wie sich Technologie einsetzen lässt, um ein gesellschaftliches Problem zu adressieren.

Algorithmen als ständige Begleiter

Algorithmische Systeme sind längst fester Bestandteil unseres Alltags. Ob bei Wettervorhersagen, Nachrichten-Plattformen oder Spam-Ordern: Sie helfen uns, mit der Menge an Informationen besser umzugehen. Im besten Falle können wir mit ihrer Unterstützung Dinge effizienter erledigen, mit Komplexität besser umgehen und konsistentere Entscheidungen treffen.

Dabei ist ein Algorithmus erst einmal nur eine Handlungsanweisung, um ein vorab definiertes Problem zu lösen. Wie ein Kochrezept, das man Schritt für Schritt befolgt, um ein gewünschtes Resultat, z.B. in Form eines Gemüseauflaufs, zu erreichen. Viele digitale Anwendungen, die wir in unserem Alltag nutzen, basieren auf sogenannten lernenden Systemen. Dabei werden die Handlungsvorschriften, nach denen die Algorithmen vorgehen, in einer Trainingsphase durch das System selbst definiert. Das System bekommt also nicht mehr den Lösungsweg vorgegeben, sondern die zu lösende Aufgabe. Auch wenn das nicht ganz präzise ist, werden lernende Systeme umgangssprachlich oft als Künstliche Intelligenz (KI) beschrieben. Dabei ist es wichtig, dass eine KI kein intelligentes Verhalten oder gar Bewusstsein aufweist, sondern intelligentes Verhalten in Bezug auf konkrete Anwendungsfelder simulieren kann.

Ethische Aspekte frühzeitig mitdenken

Für den Einsatz algorithmischer Systeme ist entscheidend, ethische Fragestellungen frühzeitig zu beachten. Ebenso müssen Ziele und Werte, die den Systemen zugrunde liegen, regelmäßig kritisch geprüft werden. In den vergangenen Jahren haben viele Organisationen ethische Kriterien entwickelt, um den Einsatz von algorithmischen Systemen menschenzentriert, vertrauenswürdig und transparent zu gestalten. So hat die Bertelsmann Stiftung gemeinsam mit dem irights.lab die sogenannten Algo.Rules – neun Regeln für die gemeinwohlorientierte Gestaltung algorithmischer Systeme – veröffentlicht. Auf der Website www.algorules.org finden sich neben den Regeln praxisorientierte Handreichungen.

Kompetenzaufbau durch ein Tech-Fellowship

Die Anwendungsbeispiele zu Beginn zeigen, dass Algorithmeneinsätze in Bereichen der Wohlfahrt gut denkbar sind. Doch noch fehlt es oft an finanziellen Ressourcen sowie an Ideen und Kompetenzen, um die technologischen Möglichkeiten sinnvoll für die Arbeit einzusetzen. Um die Mitarbeitenden dafür fit zu machen, wird es viele Initiativen brauchen. Einen Ansatz wollen wir bei der Bertelsmann Stiftung gemeinsamen mit Partner:innen in den nächsten Monaten pilotieren: ein „Tech-Fellowship für die Freie Wohlfahrtspflege“. 

Bei einem solchen Fellowship kommen Mitarbeitende aus der Wohlfahrt mit Personen zusammen, die Wissen und Kompetenzen im Bereich Algorithmen und KI mitbringen. Über einen Zeitraum von sechs Monaten erarbeiten sie gemeinsam ein konkretes Softwareprodukt, das dabei helfen soll, ein bestimmtes Problem in der Arbeit der Wohlfahrt zu lösen. 

Da es häufig noch an konkreten und bedarfsorientierten Ideen für den Einsatz von Algorithmen in der Wohlfahrt mangelt, lohnt es sich, vor dem Fellowship eine sogenannte Tech-Exploration durchzuführen. Zwischen Mai und Juni 2023 werden wir IT-Expert:innen in Arbeitsfelder der Wohlfahrt entsenden, die zusammen mit den Mitarbeitenden genau solche Ideen entwickeln. Über die Erkenntnisse werden wir im Spätsommer einen ausführlichen Bericht veröffentlichen. Das Fellowship und die vorgelagerte Exploration sollen einen Beitrag dazu leisten, dass die Potenziale algorithmischer Systeme für mehr Fürsorge, Vorsorge und Teilhabe genutzt werden. 

Zur Autorin

Foto: Gundlach

Julia Gundlach ist Co-Leiterin des Projekts reframe[Tech] – Algorithmen fürs Gemeinwohl der Bertelsmann Stiftung in Berlin. Sie setzt sich insbesondere mit dem gemeinwohlorientierten Einsatz von Algorithmen und Künstlicher Intelligenz auseinander.


VdDD-Magazin "diakonie unternehmen"

Mehr zum Thema "Mensch und KI - Das neue Miteinander" finden Sie im VdDD-Mitgliedermagazin "diakonie unternehmen" 1/23, das VdDD-Mitgliedern kostenfrei zur Verfügung steht.