Zunehmende Fremdenfeindlichkeit gefährdet Gesundheitsstandort
Diakonische Unternehmen beklagen schleppende Bürokratie bei Integration in den Arbeitsmarkt
Diakonische Unternehmen wollen mehr geflüchtete Menschen als Arbeits- und Fachkräfte gewinnen, sehen aber in der zunehmenden Fremdenfeindlichkeit und in der Bürokratie große Hindernisse. Diese könnten langfristig den Gesundheitsstandort gefährden. „Wir haben überall Fachkräftemangel und viele qualifizierte Flüchtlinge – dennoch kriegen wir es nicht hin, die Zugänge zum Arbeitsmarkt zu flexibilisieren und zu vereinfachen“, kritisiert der Vorstandsvorsitzende des Verbandes diakonischer Dienstgeber in Deutschland (VdDD), Dr. Ingo Habenicht. Er verweist auf verschiedene Erfahrungsberichte von Mitgliedsunternehmen des Verbandes.
Anerkennungsverfahren dauern zu lang
Eine Herausforderung seien beispielsweise lange Anerkennungsverfahren für berufliche Qualifikationen, die sich bis zu einem Jahr hinziehen könnten, berichtet Regine Kracht, Integrationskoordinatorin im Agaplesion Diakonieklinikum Hamburg. Zudem führe die derzeitige politische Lage zu Verunsicherung und berge die Gefahr, dass dringend benötigte qualifizierte Fachkräfte nicht nach Deutschland kommen. Es sei wichtig, auch im direkten Umfeld Position zu beziehen – beispielsweise bei fremdenfeindlichen Aussagen von Patienten, betont Kracht. „Als größter diakonischer Verbund im Gesundheitswesen haben wir einen hohen ethischen und christlichen Anspruch, um Menschen mit Fluchterfahrungen hier eine Chance zu geben“, ergänzt Rebecca Nauheimer, Verantwortliche für internationale Fachkräfte in der Zentrale von Agaplesion.
Befristete Arbeitserlaubnis erschwert Stellensuche
Bei der Diakonie Michaelshoven hat man mit bürokratischen Hürden zu kämpfen: „Wer flüchten muss, denkt natürlich nicht dran, dass er noch sein Schulzeugnis mitnehmen muss. Und wenn man es doch hat, dauert die Zeugnisanerkennung rund ein halbes Jahr“, berichtet Petra Breitenbach, Leiterin für Förderprojekte. Gemeinsam mit anderen Trägern hat sie im Projekt „MyTurn“ seit 2019 mehr als 400 Frauen fit für den Arbeitsmarkt gemacht. Etwa jede vierte hat danach einen Ausbildungsplatz, Job oder Qualifizierung erhalten. Problematisch seien jedoch die befristeten Arbeitserlaubnisse: „Wenn eine Erlaubnis ausläuft, kriegt man keine Stelle – selbst wenn davon auszugehen ist, dass diese verlängert wird. Hier wäre eine ergänzende Formulierung auf der Arbeitserlaubnis hilfreich, die den Unternehmen mehr Rechtssicherheit geben könnte.“
Johanniter dampfen erfolgreiches Integrationsprogramm ein
Bei der Johanniter-Unfallhilfe führt der Bürokratiefrust so weit, dass ein erfolgreiches Programm zur Arbeitsmarktintegration auf Eis gelegt wurde. Seit 2019 hatten sich an der Johanniter-Akademie in Leipzig 73 Personen zur Pflegehilfskraft oder für den Rettungssanitätsdienst qualifizieren lassen. Der letzte Kurs endete im Mai. Ein Grund seien die langen Wartezeiten für Bildungsgutscheine, so die zuständige Koordinatorin Antje Zajonz. Außerdem hänge die Bewilligung der Qualifizierungsmaßnahme durch das Job-Center stark von der jeweiligen Sachbearbeitung ab. „Da fehlt es an Transparenz“, so Zajonz. Hinzu komme der Föderalismus: „Ein ausländischer Realschulabschluss, der in Sachsen-Anhalt anerkannt wurde, gilt trotzdem nicht in Sachsen. Das bedeutet, die betreffende Person muss das Verfahren andernorts nochmal machen und bis zu einem Jahr warten.“
Mehr Sprachkurse benötigt
Eine der wesentlichen Voraussetzungen, um Zugang zum Arbeitsmarkt zu erhalten, sind ausreichende Sprachkenntnisse: „Hier wären mehr Alphabetisierungskurse und Plätze in Integrationskursen sinnvoll, um die grundständigen Deutschkenntnisse (…) zu erreichen“, sagt Ulrike Haas, Leitung Geschäftsfeld Jugendhilfe bei der BruderhausDiakonie. Zudem bräuchte es ausreichend Angebote für Geflüchtete mit Trauma-Erfahrungen. „Wir haben festgestellt, dass Menschen mit psychischer Belastung den Kurskonzepten nicht immer standhalten können“, berichtet ihre Kollegin Ingrid Gunzenhausen. Daher plane man nun die Einrichtung eines traumasensiblen Sprachcafés als Modellprojekt.
Einzelfälle als Lichtblicke
Doch immer wieder finden geflüchtete Menschen Arbeit in der Diakonie. Ein Beispiel: Michael Kashour, der 2015 aus Syrien nach Deutschland geflohen ist. Der gelernte Bankkaufmann und Schauspieler absolvierte zwischen 2017 und 2020 die vollschulische Ausbildung zum Erzieher an der Hephata-Akademie im hessischen Schwalmstadt. Heute leitet er eine Wohngruppe für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge bei dem diakonischen Träger. Insgesamt beschäftigt das Unternehmen 43 Personen mit Fluchthintergrund.
Die BruderhausDiakonie betont die gute Zusammenarbeit mit den Partnern vor Ort: „In vielen Kommunen treffen wir auf Kooperationspartner, die bereit sind, über die BruderhausDiakonie Angebote zur Integration zu leisten, das erleben wir beispielsweise als positive Rahmenbedingung“, sagt Haas.
Über uns
Der Verband diakonischer Dienstgeber in Deutschland e.V. (VdDD) vertritt als diakonischer Bundesverband die Interessen von rund 200 Mitgliedsunternehmen und sieben Regionalverbänden mit mehr als 560.000 Beschäftigten. Schwerpunkte der Verbandsarbeit sind die Weiterentwicklung des kirchlich-diakonischen Tarif- und Arbeitsrechts, Themen aus Personalwirtschaft und -management sowie die unternehmerische Interessenvertretung.
Ansprechpartner
Tobias-B. Ottmar
Referent für Öffentlichkeitsarbeit und Verbandskommunikation