Arbeitskräftestrategie: schneller, flexibler, integrativer

Der aktuelle politische Diskurs fokussierte sich zuletzt stark auf die Themen Migration und Sicherheit, während der Fachkräftemangel immer gravierender wird. Um Deutschland als attraktiven Standort für qualifizierte Arbeitskräfte zu positionieren, braucht es dringend eine strategische Neuausrichtung – fordert Christoph Dürdoth, Vorstand Personal der Johannesstift Diakonie.
Von unseren rund 11.000 Mitarbeitenden haben 1.553 (14 Prozent) einen ausländischen Pass, 123 Nationen sind vertreten. Im Pflegedienst ist mehr als jeder dritte Beschäftigte nicht-deutscher Herkunft. Sie bereichern unser Team und unsere Kultur – allerdings erschweren langwierige Anerkennungsverfahren und fehlende Unterstützung bei der Sprachförderung eine schnelle Integration. Hier braucht es dringend einheitlichere und beschleunigte Verfahren sowie die Refinanzierung von Integrationsprogrammen.
Zuwanderung wird wichtiger
In den kommenden Jahren werden wir noch intensiver auf Zuwanderung angewiesen sein. Durch die Begleitung der Menschen insbesondere in administrativen und bürokratischen Fragen sowie der Anerkennung von Berufsabschlüssen entstehen enorme Personalkosten, auch wenn sich der bürokratische Aufwand gut strukturiert bewältigen lässt. Die größten Hürden stellen die Wohnraumbeschaffung und die Sprachkompetenz dar. Während in Deutschland der Spracherwerb vor Arbeitsaufnahme in theoretisch orientierten Sprachkursen erfolgt, setzen andere Länder auf das Erlernen der Sprache am Arbeitsplatz. Das ermöglicht nachhaltigere Sprachkenntnisse.
Das Thema Wohnraumbeschaffung versuchen wir zuweilen kreativ anzugehen, in dem wir beispielsweise Gebäude, die aufgrund neuer baurechtlicher Bestimmungen nicht mehr als Pflegeheim genutzt werden können, zu Wohnungen für Mitarbeitende umfunktionieren. Doch damit kann nur ein Teil des Bedarfs gedeckt werden.
Über die Johannesstift Diakonie
Die Johannesstift Diakonie gAG ist das größte konfessionelle Gesundheits- und Sozialunternehmen in der Region Berlin und Nordostdeutschland. 11.400 Mitarbeitende leisten moderne Medizin und zugewandte Betreuung im Einklang mit den christlich-diakonischen Werten des Unternehmens.
Hoher Ressourceneinsatz, ungewisser Ausgang
Auch bei der Gewinnung von Geflüchteten für den Arbeitsmarkt stoßen wir auf etliche Hürden. Als Arbeitgeber brauche ich vielschichtige Fachkenntnisse, zum Beispiel Migrations- und Aufenthaltsrecht, Arbeitsrecht-Kenntnisse für Nicht-EU-Bürger, interkulturelle Kompetenz, Verwaltungs- und Verfahrenskompetenz und Sozialrecht. Das bedeutet, es müssen umfängliche Ressourcen für diesen Prozess eingesetzt werden, ohne Gewissheit über die Aufenthaltsdauer des potenziellen Mitarbeitenden zu haben. Hinzu kommt die lange Bearbeitungsdauer in Behörden, die ebenfalls unter Personalmangel leiden.
Flexible Arbeitszeitmodelle gefragt
Eine weitere Herausforderung stellt das Arbeitszeitgesetz dar, das Beschäftigte schützen soll, aber an der Realität der Sozialwirtschaft vorbeigeht. Beispiel: Bei Personalausfällen im Gesundheitsbereich sind Unternehmen gezwungen, entweder teure Leiharbeitende einzusetzen oder Leistungen einzuschränken, wenn die tägliche Höchst-Arbeitszeit oder die gesetzliche Ruhezeit nicht unterlaufen werden soll. Ein anderes Beispiel: In einem ambulanten Pflegedienst kommt es immer wieder zu unvorhergesehenen personellen Engpässen, etwa durch Krankheitsausfälle oder einen plötzlichen Anstieg bei Pflegebedarfen. In einem solchen Szenario stoßen die regulären Pflegekräfte schnell an ihre gesetzlich zulässige Höchstarbeitszeit.
Es gibt kaum Spielräume, um flexibel auf den akuten Bedarf zu reagieren, ohne die gesetzlichen Vorgaben zu verletzen. Die Folge kann eine Unterbesetzung in wichtigen Zeitfenstern sein, was Versorgungsqualität und die Belastung der Mitarbeitenden negativ beeinflusst. Der Gesetzgeber sollte daher passgenaue Arbeitszeitmodelle im Schichtdienst ermöglichen – auch unter Berücksichtigung von Personalausfällen.
Auch die Höchstarbeits- und Ruhezeit sind im Arbeitszeitgesetz praxisgerecht anzupassen und die Arbeitnehmerüberlassung zwischen Sozialunternehmen und innerhalb von Konzernverbünden zu vereinfachen.
Lebensphasenorientierte Arbeitsmodelle sind essenziell
Neben Ausnahmeregelungen für Notsituationen brauchen wir auch lebensphasenorientierte Arbeitsmodelle, die dem Wunsch nach Flexibilität, etwa in der mobilen Arbeit, Rechnung tragen. Als Arbeitgeber ermöglichen wir schon jetzt im Verwaltungsbereich viel Freiheit von bis zu drei Tagen mobiler Arbeit in der Woche. Wenn Kinder betreut oder ältere Angehörige gepflegt werden müssen, bieten wir auch übergangsweise eine Reduzierung des Stundenumfangs an. Mitarbeitende, die wissen, dass ihre privaten Verpflichtungen und familiären Bedürfnisse berücksichtigt werden, sind tendenziell loyaler und engagierter. Insofern steigert das auch unsere Arbeitgeberattraktivität.
Quereinstieg wirtschaftlich gestalten
In absehbarer Zeit werden wir in bestimmten Branchen einen verstärkten Personalüberhang verzeichnen, während im Sozialwesen der Arbeitskräftebedarf weiterhin hoch ist und noch ansteigt. Wer sich entschließt, sein Berufsfeld zu wechseln, muss dies entweder selbst finanzieren oder ist auf entsprechende Programme angewiesen.
Als Unternehmen ist die Quasi-Subventionierung eines Quereinstiegs in den Kosten schlecht darstellbar. Umgekehrt wird die Person, die üblicherweise schon länger im Berufsleben steht, nicht in ihrem Gehaltsniveau deutlich zurückfallen wollen und können. Hier braucht es begleitende attraktive Förderprogramme, die den Quereinstieg unterstützen. Im Bereich der Pflege wäre die Möglichkeit zur berufsbegleitenden Weiterqualifizierung zur Pflegefachkraft wünschenswert.
Zur Person

Christoph Dürdoth ist Vorstand Personal der Johannesstift Diakonie und Vorstandsmitglied des Verbandes diakonischer Dienstgeber in Deutschland.
Hinweis

Dieser Text erschien zunächst am 14. Mai 2025 im VdDD-Mitgliedermagazin "diakonie unternehmen" 1/25
Das könnte Sie auch interessieren

Neues aus diakonischen Unternehmen

Jedes Unternehmen kann Opfer einer Cyberattacke werden

Wir müssen in das Soziale investieren

Einsatz für Nachhaltigkeit aus Überzeugung

Diakonische Unternehmen sollen Europa mitgestalten

Bundesregierung soll „Mut zum Neustart“ zeigen

Nachhaltigkeit: Jetzt nicht den Schwung verlieren
Personalwechsel in diakonischen Unternehmen

Gemischte Reaktionen auf Koalitionsvertrag
