Nachhaltigkeit: Jetzt nicht den Schwung verlieren

Bis zu 75 Prozent der CO2-Emissionen entstehen entlang der Wertschöpfungskette. Der Nachhaltigkeitsexperte Stefan Krojer gibt Tipps, wie man Einsparungspotenziale heben kann und ermutigt dazu, sich von der veränderten politischen Stimmung nicht beirren zu lassen.
Zur Person

Der Diplom-Betriebswirt und MBA Health Care Management Stefan Krojer ist Gründer von Zukunft Krankenhaus-Einkauf (ZUKE) und ZUKE Green. Er verfügt über 20 Jahre praktische Erfahrung im Gesundheitswesen. Seine Spezialgebiete sind Nachhaltigkeit, Digitalisierung und Startups.
Vor acht Jahren haben Sie Zukunft Krankenhaus Einkauf und ZUKE Green gegründet und dabei eine Vision für 2025 formuliert. Wie weit sind Sie damit gekommen?
Krojer: Ein Teil der Vision ist Realität geworden – insbesondere im Bereich der Automatisierung und Digitalisierung der Lieferkette im Gesundheitswesen. Krankenhäuser konzentrieren sich heute stärker auf den strategischen Einkauf: also auf Produkte, die selbst bei Lieferengpässen – wie während der Corona-Pandemie – unbedingt verfügbar sein müssen. Beim Thema Nachhaltigkeit auf Produktebene besteht hingegen weiterhin Potenzial.
Woran liegt das Ihrer Meinung nach?
Krojer: Ein wesentlicher Grund ist das fehlende gemeinsame Verständnis von Nachhaltigkeit im Einkauf. Entsprechend spielt das Kriterium in vielen Einkaufsgemeinschaften bislang kaum eine Rolle. Bei Osapiens – ein Softwareunternehmen, für das ich mittlerweile tätig bin – arbeiten wir daran, relevante Nachhaltigkeitsdaten zu erheben und verfügbar zu machen. Dabei schauen wir uns auch den gesamten Lebenszyklus eines Produkts an. Ein Beispiel: Die Entsorgung von kontaminiertem Abfall ist sehr kostspielig. Wenn ein Produkt durch Recycling weniger Abfall verursacht, können diese Einsparungen bereits bei der Beschaffung berücksichtigt werden. Mithilfe unserer Daten kann dies bei der Kaufentscheidung einfließen.
Auf der Strategietagung Nachhaltigkeit werden sie vier Schritte beschreiben, wie man zur klimaneutralen und nachhaltigen Beschaffung gelangt. Können Sie diese kurz zusammenfassen?
Krojer: Der erste Schritt ist die Umsetzung der regulatorischen Vorgaben. Sie definieren den Rahmen und legen fest, was unter Nachhaltigkeit zu verstehen ist. Die verpflichtende Wesentlichkeitsanalyse hilft Unternehmen dabei, sich auf die ESG-Bereiche mit dem größten Einfluss zu konzentrieren. Im zweiten Schritt erstellt man eine Klimabilanz für alle Bereiche, die das Unternehmen direkt beeinflussen kann – beispielsweise Energieversorgung und Mobilität. Der dritte Schritt betrifft die Klimabilanz der eingekauften Waren. Und im vierten Schritt betrachten wir schließlich den gesamten Lebenszyklus der eingesetzten Produkte.
Die Umsetzung der Nachhaltigkeitsrichtlinie wurde jüngst von der EU verschoben. Zudem soll der Kreis der betroffenen Unternehmen drastisch reduziert werden. Stirbt der Green Deal gerade einen langsamen Tod?
Krojer: Nein, ganz im Gegenteil. Der Green Deal ist in über rund 50 Gesetzen verankert. Auch die Finanzbranche macht die Vergabe von Krediten zunehmend von Nachhaltigkeitskriterien abhängig. Ich sehe die zweijährige Verschiebung sogar positiv – sie verschafft Unternehmen mehr Vorbereitungszeit. Auch die geplante Anhebung der Schwellenwerte kann hilfreich sein: Kleinere Unternehmen mit weniger als 1.000 Mitarbeitenden erhalten dadurch einen leichteren Einstieg und können das Thema strategisch angehen. Wichtig ist jetzt, den Schwung nicht zu verlieren.
Strategietagung Nachhaltigkeit 2025
Die Reduzierung der CO2-Emissionen und die Berichterstattung nach CSRD-Richtlinie sind drängende Herausforderungen für Sozialunternehmen. Große Einsparpotenziale liegen im Scope3-Bereich, insbesondere bei der Verpflegung, Beschaffung und Mobilität. Diesem Thema widmen uns im Rahmen der 5. Strategietagung Nachhaltigkeit am 22. und 23. Mai 2025 in Berlin. Das Motto: Ran an die Wertschöpfungsketten! Das ausführliche Programm, die Teilnahmebedingungen, weitere Informationen und den Anmeldelink finden Sie im hier.
Nachhaltigkeit in Ausschreibungen stärker berücksichtigen
Etwa bis zu 75 Prozent der Emissionen entstehen entlang der Wertschöpfungskette und liegen somit nicht im direkten Einflussbereich der Unternehmen. Wie lässt sich hier trotzdem nachhaltiger handeln?
Krojer: Unsere Datenbank ermöglicht es Händlern, auf Basis der verwendeten Materialien in ihren Produkten den ökologischen Fußabdruck zu berechnen. Bei einem Krankenhausbett wird beispielsweise geprüft, wie hoch der Holzanteil ist – und anhand des Produktionsstandorts und der Lieferwege lässt sich die CO₂-Bilanz ermitteln. Einkaufsgemeinschaften oder einzelne Häuser können auf diese Daten zugreifen und dadurch gezielter nachhaltige Entscheidungen treffen. Je stärker Nachhaltigkeit bei Ausschreibungen berücksichtigt wird, desto eher werden auch die benötigten Produktdaten von den Händlern bereitgestellt.
Wie kann die Digitalisierung die Nachhaltigkeitsbemühungen unterstützen?
Krojer: Die EU-Ökodesign-Richtlinie sieht in den kommenden Jahren die Einführung eines digitalen Produktpasses für immer mehr Warengruppen vor. Im Gesundheitsbereich rechnen wir damit etwa bis 2030. Über einen QR-Code auf Basis des GS1 Digital Link Standards sollen dann alle wichtigen Produktdaten abrufbar sein – von der Herkunft über die Recycelbarkeit bis hin zu umweltrelevanten Kennzahlen. Diese Transparenz wird die Entwicklung und Verbreitung nachhaltiger Produkte deutlich beschleunigen.
Wo sehen Sie aktuell die größten Herausforderungen für die Sozialwirtschaft?
Krojer: Insbesondere in den Bereichen Gesundheit und Pflege sind finanzielle und personelle Ressourcen oft knapp. Hier stehen häufig andere, existenzielle Themen im Vordergrund. Dennoch gehört das Wirtschaften nach ESG-Kriterien inzwischen auch zum Risikomanagement. Kein Unternehmen kann es sich leisten, mit fragwürdigen Lieferanten in Verbindung gebracht zu werden. Und auch die Absicherung der Lieferketten spielt eine zunehmend wichtige Rolle.
Was wünschen Sie sich für die Branche?
Krojer: Ich wünsche mir, dass die Branche sich nicht von politischen Veränderungen entmutigen lässt. Stattdessen sollten wir mit Best Practices und konkreten Tipps Mut machen und Aufbruchstimmung schaffen. Die Vernetzung und der Austausch untereinander können dabei eine zentrale Rolle spielen.
Vielen Dank für das Gespräch.
Ansprechpartner

Tobias-B. Ottmar
Referent für Öffentlichkeitsarbeit und Verbandskommunikation
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