Ende des Jahres gehen Dr. Ingo Habenicht und Bernhard Schneider in den Ruhestand – bereits im November scheiden sie aus dem VdDD-Vorstand aus. Gemeinsam ziehen sie Bilanz und werfen einen Blick auf die Sozialwirtschaft.

Herr Habenicht, Sie waren 13 Jahre im Vorstand des Verbandes, die letzten vier Jahre als Vorsitzender. Wie würden Sie die Entwicklung des Verbandes beschreiben?

Ingo Habenicht: Früher standen teilweise andere Fragen im Vordergrund als heute. Damals war Personalmangel noch kein großes Thema, sondern eher die Finanzierung. Dauerbrenner blieb die Diskussion um den sogenannten „Dritten Weg“. Immer wieder haben wir die Vorteile des kirchlichen Arbeitsrechts erläutert. Gleichzeitig haben wir die Geschäftsstelle stark weiterentwickelt – insbesondere im Bereich Ökonomie. Das war ein qualitativer Sprung. In allen Fragestellungen erlebte ich im Vorstand einen guten Zusammenhalt. Und die Zusammenarbeit mit der Geschäftsstelle hat mich als Vorsitzenden sehr entlastet. Auch der Wechsel in der Hauptgeschäftsführung von RA Ingo Dreyer zu Dr. Max Mälzer im vergangenen Jahr hat reibungslos funktioniert. Insgesamt habe ich den Verband als Gemeinschaft erlebt, die konstruktiv zusammenarbeitet und stetig wächst.

 

Wie hat sich die Zusammenarbeit mit der Diakonie Deutschland und den Landes- und Fachverbänden gestaltet?

Ingo Habenicht: Auch wenn es in einzelnen Fragen mitunter unterschiedliche Sichtweisen gab und gibt, so haben wir in der Vergangenheit immer wieder auch gemeinsam Stellung bezogen – zuletzt beispielsweise mit dem BeB und DEVAP rund um die Bundestagswahl oder auch beim Thema Pflegereform. Zudem pflegen wir auch eine gute Zusammenarbeit mit der Vereinigung kirchlicher Mitarbeiterverbände Deutschland (VKM-D). Auch über die Diakonie hinaus investieren wir in gute Beziehungen, sei es beispielsweise zu den Caritas-Dienstgebern, der Arbeitsgemeinschaft caritativer Unternehmen oder auch zu Verbänden aus der Privatwirtschaft.

Zur Person

Foto: Stephan Wemhöner

Dr. Ingo Habenicht leitete mehr als 16 Jahre das Evangelische Johanneswer und gehörte 13 Jahre dem VdDD-Vorstand an. Seit 2021 war er Vorsitzender des Verbandes.

Herr Schneider, Sie haben sich vor allem auf den VdDD fokussiert, nachdem Sie zuvor auch woanders engagiert waren. Warum?

Bernhard Schneider: Der VdDD ist ein Arbeitgeber- und Unternehmensverband. Er vertritt die Interessen seiner Mitglieder und steht mit ihnen im unmittelbaren Austausch. Das gestaltet sich bei Fach- und Landesverbänden zuweilen anders. Besonders in den vergangenen zehn Jahren hat der VdDD viel für bessere Arbeitsbedingungen in der Pflege und der gesamten Sozialwirtschaft erreicht. Davon profitiert heute die ganze Branche. Mit seinem Einsatz stärkt der VdDD maßgeblich das diakonische Unternehmertum und das Profil der Kirche. Da wäre eigentlich mehr Rückendeckung von kirchlichen Gremien zu erwarten, wenn es um das kirchliche Arbeitsrecht geht.

Ingo Habenicht: Wobei zu erwähnen ist, dass es auch Landeskirchen und diakonische Landesverbände gibt, die sehr vertrauensvoll mit uns zusammenarbeiten und denen der Wert des kirchlichen Arbeitsrechts sehr bewusst ist.

Zur Person

Foto: Evangelische Heimstiftung

Bernhard Schneider war 40 Jahre in der Pflege tätig, davon 15 Jahre als Hauptgeschäftsführer der Evangelischen Heimstiftung. Zudem war er seit 2014 Vorstandsmitglied des Verbandes diakonischer Dienstgeber in Deutschland.

Manche Mitgliedsunternehmen wünschten sich auch von ihren Landesverbänden mehr Unterstützung….

Ingo Habenicht: Deshalb schätzen viele Unternehmen die Arbeit des VdDD. Und gleichzeitig sehen wir aber auch positive Entwicklungen bei Landesverbänden.

Wir bringen uns konsequent direkt oder indirekt über die Diakonie Deutschland in Gesetzgebungsverfahren ein und verschaffen den diakonischen Unternehmen Gehör. In der breiten Öffentlichkeit haben es jedoch Kirche und Diakonie schwer, mit ihren Anliegen wahrgenommen zu werden. Skandale um das Thema sexualisierte Gewalt und eine zunehmende Distanz von Teilen der Öffentlichkeit zur Kirche erschweren das zusätzlich.

Bernhard Schneider: Wichtiger als die mediale Präsenz ist am Ende aber die politische Wirksamkeit. Und da ist der VdDD erfolgreicher, als viele glauben – gerade im Tarifrecht und bei unternehmerischen Fragen. In diesen Feldern hat der Verband mehr Durchsetzungskraft gezeigt als viele andere.

 

Bei größeren Themen dringt die freie Wohlfahrtspflege kaum durch, siehe Pflegereform. Wie groß ist Ihre Hoffnung, dass es Fortschritte gibt?

Bernhard Schneider: Der Bundeskanzler hat im Sommer einen „Herbst der Reformen“ angekündigt – derzeit sieht es eher nach einem „Winter der sozialen Kälte“ aus, dem wir uns entgegenstellen müssen. Dennoch bin ich überzeugt, dass die Vorschläge der Initiative „Pro Pflegereform“ früher oder später aufgegriffen werden. Wenn für die Rentenversprechen trotz Haushaltsnot zusätzliche Milliarden mobilisiert werden, muss das auch für die Pflege möglich sein.

 

Wie blicken Sie auf die Kommission, die die Reformvorschläge ausarbeiten soll?

Bernhard Schneider: In der Kommission sitzen Bund und Länder zusammen, Verbände haben allenfalls ein kurzes Anhörungsrecht – das ist fatal. Ich erwarte, dass die Versprechen der Regierung zu Entbürokratisierung, Digitalisierung und Deregulierung eingelöst werden. Wir brauchen hier wirklich große Reformschritte, damit wir als gemeinnützige Unternehmen unseren Beitrag zur Überwindung der Krise leisten können. Und darauf hoffe ich aktuell stärker als auf eine große Pflegereform, die vermutlich noch etwas auf sich warten lässt.

 

In den vergangenen Jahrzehnten ist die Sozialwirtschaft stetig gewachsen. Ist es damit nun vorbei?

Ingo Habenicht: Was die Tarifsteigerungen angeht, da müssen wir eher konsolidieren und zu angemessenen und wirtschaftlich tragfähigen Steigerungen zurückkehren. Die Nachfrage nach sozialen Leistungen steigt aber allein schon wegen der demografischen Entwicklung weiter. Insofern sehe ich die Sozialwirtschaft auf einem moderaten Wachstumskurs. Gleichzeitig zwingt uns der Personalmangel, neue Wege zu gehen: mehr qualifiziertes Personal im In- und Ausland gewinnen, IT und KI stärker nutzen und bürgerschaftliches Engagement fördern. Wir müssen auch über eine Flexibilisierung der Wochen- und eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit sprechen. Forderungen nach mehr Urlaub oder kürzeren Arbeitszeiten passen nicht zu den steigenden Bedarfen.

Bernhard Schneider: Wir müssen auch über die Rückkehr zur 40-Stunden-Woche nachdenken. Zusätzliche freie Tage verschärfen das Personalproblem eher.

Wir müssen über eine Flexibilisierung der Wochen- und eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit sprechen. Forderungen nach mehr Urlaub oder kürzeren Arbeitszeiten passen nicht zu den steigenden Bedarfen.

Der Personalmangel führt dazu, dass der Anteil ausländischer Personen auch in der Diakonie wächst. Wie kann das diakonische Profil in einem multikulturellen Kontext gewahrt bleiben?

Bernhard Schneider: Unsere Werte – Würde, Respekt, Liebe – gelten universell. Daran ändert auch eine höhere Vielfaltsquote nichts.

Ingo Habenicht: Ich habe mich bereits in meiner Zeit im Diakonischen Werk Hamburg für eine interkulturelle und interreligiöse Öffnung der Diakonie eingesetzt und dies auch im Evangelischen Johanneswerk weitergeführt. Wir sind evangelische, diakonische Unternehmen und haben klare Kernwerte. Gerade das befähigt uns, Menschen mit anderen Glaubensüberzeugungen und Weltanschauungen in unseren Unternehmen auf Augenhöhe und gleichberechtigt zu begegnen.

 

Neben dem Personalmangel leiden viele Einrichtungen auch unter Liquiditätsengpässen, die vermehrt auch zu Insolvenzverfahren führen. Woran liegt das?

Ingo Habenicht: Ein Beispiel: In Nordrhein-Westfalen werden Investitionskosten in der Pflege mit bis zu zwei Jahren Verzögerung genehmigt. Vorher können wir sie weder als offene Forderung bilanzieren, noch den Pflegebedürftigen in Rechnung stellen. Angehörige erhalten dann plötzlich hohe Nachforderungen – oft nach dem Tod des Betroffenen. Das sorgt nachvollziehbar für Unverständnis und Frust. Hinzu kommen überlastete Ämter, die zu lange brauchen, um die Kostenübernahme bei der Hilfe zur Pflege zu klären. Und nicht zuletzt gibt es strukturelle Probleme wie beim Bundesteilhabegesetz, dessen Umsetzung in NRW völlig unterfinanziert ist.

Bernhard Schneider: Wir brauchen auch in den diakonischen Unternehmen einen klaren und professionellen Blick auf die Themen Wirtschaftlichkeit, Rendite, Controlling und Steuerung. Manche Träger sind hier sehr gut aufgestellt, andere weniger. Ohne solide Prozesse drohen Insolvenzen.

Wir brauchen auch in den diakonischen Unternehmen einen klaren und professionellen Blick auf die Themen Wirtschaftlichkeit, Rendite, Controlling und Steuerung.

Müssen wir uns darauf einstellen, dass es mehr große und weniger kleine Träger gibt?

Ingo Habenicht: Regulierung und Bürokratie belasten alle, aber kleinere Träger sind da noch mehr herausgefordert. Für sie werden die damit verbundenen Aufwendungen schneller existenzbedrohend.

Bernhard Schneider: Die Größe allein löst das Problem nicht. Wichtig sind effiziente Strukturen, digitale Prozesse und Vernetzung. Generell würde ich mir mehr Offenheit wünschen, proaktiv über Zusammenschlüsse und Konsolidierung nachzudenken. Manche Landesverbände fördern das, andere bremsen da, weil große Träger unabhängiger auftreten und sich auch eigenständig positionieren. Dabei ist das diakonische Unternehmertum eine zentrale Aufgabe der Kirche und wird sie künftig noch stärker prägen.

 

Was braucht es denn, um Insolvenzen zu vermeiden?

Ingo Habenicht: Wir müssen nachhaltiger wirtschaften – sozial, ökonomisch und ökologisch. Dazu gehört ein verantwortungsvoller Umgang mit Personal, gutes Onboarding und Mitarbeiterbindung sowie eine wertefundierte Unternehmenskultur.

Bernhard Schneider: Und: Kostenträger müssen endlich pünktlich ihre Rechnungen bezahlen und die Refinanzierung, die uns gesetzlich zusteht, leisten. Wir brauchen auch eine angemessene Umsatzrendite, etwa 2,5 bis 4 Prozent. Das wäre moderat im Vergleich zur Privatwirtschaft, würde aber helfen, Krisen abzufedern und in Digitalisierung oder Nachhaltigkeit zu investieren.

 

Unter den zehn größten Pflegeanbietern sind nur zwei gemeinnützige Unternehmen. Was kann man von den privaten Anbietern lernen?

Bernhard Schneider: Zunächst einmal ist zu sagen: Die Privaten können auch von uns lernen – etwa bei Nachhaltigkeit und Werten oder auch der hohen Tarifbindung. Wir hingegen können uns beim Thema „Umgang mit Wachstum“ eine Scheibe abschneiden. Die privaten Unternehmen sehen Wachstum als etwas Selbstverständliches an, während konfessionelle Träger sich immer wieder rechtfertigen müssen.

Ingo Habenicht: Wir sind da in der Diakonie deutlich zurückhaltender, weil wir uns als Teil der großen diakonischen Familie sehen und keine Ellenbogenmentalität leben wollen. Dennoch stehen wir auch untereinander in einem Wettbewerb, den wir fair und angemessen leben.

 

Sie haben beide über Jahrzehnte als Führungskräfte diakonische Unternehmen geprägt. Was waren besondere Herausforderungen und wofür sind wir dankbar?

Bernhard Schneider: Eine Herausforderung war stets, das Unternehmen durch die Unwägbarkeiten der Pflegepolitik zu steuern. Dennoch haben wir es geschafft, in den vergangenen 15 Jahren zu einem der größten gemeinnützigen Pflegeunternehmen zu werden. Dafür bin ich dankbar.

Ingo Habenicht: Herausfordernd fand ich es gerade in meiner Anfangszeit, bei schwierigen wirtschaftlichen Lagen durchaus umstrittene Entscheidungen im Vorstand treffen zu müssen. Zu den schönsten Erlebnissen zähle ich die Entwicklung unseres Wertedreiecks “UNSER WIR.”, bestehend aus “Vision”, “Mission” und “Interaktion”, das unsere Arbeit prägt.

 

Zum Schluss: Was planen Sie im Ruhestand?

Ingo Habenicht: Meine Leidenschaft ist die Musik. Ich werde wieder Klavier- und Gesangsunterricht nehmen. Und schon jetzt bereite ich mich auf das Amt des Präsidenten des Rotary-Clubs vor, das auch mit sehr viel ehrenamtlicher Arbeit verbunden sein wird.

Bernhard Schneider: Ich versuche es mit Bernhard von Clairvaux zu halten: Erstmal alle meine Schalen leeren. Ich möchte Abstand von der Altenhilfe gewinnen. Ansonsten freue ich mich, mehr Zeit mit meinen sechs Enkelkindern und im Garten zu verbringen oder mich Dingen zu widmen, die in den vergangenen Jahren zu kurz gekommen sind.

 

Vielen Dank für das Gespräch.